Wolkige Rede, schräge Rechnung

Bei Beschäftigungsprognosen macht jeder seine Rechnung auf. Institute rechnen mit 50.000 bis 200.000 neuen Jobs — aber kaum sinkenden Arbeitslosenzahlen  ■ Aus Berlin Barbara Dribbusch

Zwei Millionen Jobs mehr, 500.000 neue Stellen oder vielleicht doch nur hunderttausend, und wenn ja, welche? Wer als Arbeitsloser den Streit um neue Jobs verfolgt, muß sich verschaukelt vorkommen. BDA-Chef Dieter Hundt kündigte eine halbe Million neue Stellen an. Inzwischen rücken Wirtschaftsexperten die Zahlen zurecht: Nur 50.000 bis 200.000 neue Stellen könnten im Verlauf des Jahres neu hinzukommen. Und die werden auch nur zum Teil von den offiziell registrierten Arbeitslosen besetzt.

Der Zahlensalat allein um die Äußerung Dieter Hundts zeigt, auf welch wolkige Reden sich die Arbeitslosen im Wahljahr einzustellen haben. Hundt, Chef der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), hatte nach einem Kanzlergespräch 500.000 neue Stellen in diesem Jahr angekündigt. Inzwischen relativierte Hundt die Schlagzeile: Netto sei nur mit einer Bilanz von 200.000 zusätzlichen Jobs zu rechnen, da zugleich Stellen verlorengingen. Auf Anfrage erklärte sein Sprecher Uwe Matzura, in die Zahl der 500.000 seien saisonale und konjunkturelle Zuwächse eingerechnet sowie neue Jobs, die aufgrund der sozialen Reformen entstünden. Betrachtet man allerdings die üblichen saisonalen Schwankungen, ist die Aussage Hundts nichts mehr wert: In der Regel sind die Arbeitslosenzahlen im Januar und Februar am höchsten und sehen dann im September und Oktober wieder günstiger aus.

Im vergangenen Jahr zählten die Ämter im Februar fast 400.000 mehr Arbeitslose als im Oktober. Auch dieses Jahr wieder werden die Arbeitslosenzahlen voraussichtlich pünktlich zum Wahltermin im Oktober sinken.

Zum Jahresende 1998 sollten 200.000 Menschen weniger ohne Arbeit sein als im vergangenen Jahr, kündigte Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) an. Selbst wenn tatsächlich 200.000 neue Jobs entstünden, müßten die Arbeitslosenzahlen jedoch keineswegs entsprechend zurückgehen. „Neue Stellen werden nur zum Teil aus dem Pool der offiziell registrierten Arbeitslosen besetzt“, erklärt Beschäftigungsexperte Bernd Hof vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Zu einem Drittel bis zur Hälfte nehmen junge qualifizierte Arbeitssuchende, Frauen aus der „stillen Reserve“ und Zuwanderer die neuen Jobs an. Im Jahresdurchschnitt werden die offiziellen Arbeitslosenzahlen daher kaum schrumpfen, sagt Hof.

Im Jahresverlauf rechnen die Wirtschaftsinstitute zwar schon mit zusätzlichen Jobs, die Zahlen aber variieren. Das Münchner Wirtschaftsinstitut Ifo erwartet ähnlich wie das arbeitgebernahe IW etwa 150.000 bis 200.000 neue Stellen. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft rechnet hingegen ähnlich wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nur mit 50.000 bis 60.000 neuen Jobs. Im Osten werde die Beschäftigung sogar weiter um ein Prozent sinken, sagte DIW-Konjunkturexperte Wolfgang Scheremet. Das liege vor allem an der Situation in der Bauwirtschaft.

Im Maschinenbau, in der Auto- und Elektroindustrie würden neue Jobs geschaffen, erklärte gestern Michael Rogowski, Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Forschungsminister Jürgen Rüttgers (CDU) rechnet mit 90.000 neuen Jobs in der Informationswirtschaft.

„Unterm Strich kommt es auf jeden Fall bei den Arbeitsplätzen zu einer Trendwende“, sagt Hof vom IW voraus. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland beständig gesunken. Noch im Dezember 1997 (den letzten verfügbaren Zahlen) hatte das Statistische Bundesamt 269.000 Beschäftigte weniger gezählt als im Jahr zuvor. In den vergangenen sechs Jahren sind in Deutschland mehr als 2,5 Millionen Jobs verlorengegangen, der Löwenanteil in der Industrie. Rexrodt hatte übrigens auch im Februar 1997 vorausgesagt, daß in jenem Jahr „die Trendwende“ gelingt. Es stimmte nicht.