■ Plädoyer für die Milchpreisbindung
: O, hehre Quarkprodukte!

Die gnadenlose Globalisierung, die über uns Deutsche herzufallen droht wie die achte Plage über den Pharao, macht selbst vor heiligen Waren nicht halt. Es gibt Produkte, die eigentlich nicht auf den Markt gehören, sondern nur zu offiziell festgesetzten Preisen verkauft werden sollten. Der Prototyp einer solchen Ware ist die deutsche Milch. Ihre Erzeuger genießen hohes Ansehen, egal ob es sich um arme Bauern oder reiche Kühe handelt.

Das Schreckgespenst Marktwirtschaft, das schon in so viele Bereiche unserer gemütlichen bundesrepublikanischen Puppenstube gedrungen ist, sollte von den schneeweißen Milchtrögen verscheucht werden wie der Vampir von der Kinderwiege. Wer ein so geistvolles, traditionsreiches und symbolgeladenes Erzeugnis der Konkurrenz überantwortet, macht sich zum Totengräber der deutschen Fetthäutchen-Bildung. Zu glauben, daß mehr und bessere Milch getrunken werde, wenn man sie billiger macht, ist eine Milchmädchenrechnung.

Zu Recht weist der Börsenverein des deutschen Milchhandels darauf hin, daß der deutschen Kuh von alters her staatlich garantierte satte Weidegründe zustehen. Gewisse Privilegien wird es immer geben. Die deutsche Milchwirtschaft muß verdienen, gerade weil sie eine geweihte Ware herstellt. Die Preisgabe der Preisbindung würde unweigerlich dazu führen, daß nur noch die großen Bestmelker ihre Ergüsse im Dutzend billiger an die Durstigen bringen. Auf der Milchstraße von endlosen Regalen eines solch perfiden Mammutangebots hätten anspruchsvolle, sensible Kühe keine Chance mehr. Wenn nur noch verwässerte Ware unters Volk gebracht wird, wie in den USA, beleidigt das die Ehre der deutschen Kuh.

Schlimm genug, daß die deutschen Trinker sowieso lieber zur amerikanischen junk milk greifen, anstatt sich problembewußt deutsche Qualitätserzeugnisse einzuflößen. Wenn das so weitergeht und die Verbraucher in rohen Mengen die Milch trinken, die sie trinken wollen, anstatt in kleinen Schlückchen jene zu trinken, die sie trinken sollen – wo käme dann die ganze deutsche pädagogische Provinz am Ende hin? Anstatt jenen Milchsorten zuzusprechen, die vom deutschen Staatsfernsehen und von angesehenen Zeitungen für gut befunden werden, würde das Milchgesicht in riesigen Milchkaufhäusern selbst entscheiden, was es kippen will und zu welchem Preis. Schon bald würden die kleinen Milchhandlungen eingehen. Die guten alten landwirtschaftlich ausgebildeten Milchhändler in Schlabberpullovern und Cordhosen, die eine fachkundige Laktatberatung anbieten und jede lieferbare Plürre innerhalb von 24 Stunden bestellen können, wären arbeitslos. An ihre Stelle träten die berüchtigten Milchhandelsketten – Giganten, denen es weniger um die Milch als um die Kohle geht. Anstatt die Interessen der kleinen Milchhandlungen zu vertreten, gaukeln sie ihren Klienten eine schier grenzenlose Anzahl von Milchsorten vor. Bei den meisten Marken handelt es sich dabei erwartungsgemäß um aufgeschäumtes Milchpulver. An diesen Regalen der Versuchung werden die Kunden dann dazu verführt, so viele Milchen wie möglich zu kosten. Da die meisten Trinker einen schlechten Geschmack haben, hätten wir am Ende eine furchtbare Milchmonotonie: Alle Leute würden nämlich die berüchtigte schlabbrig-süße Erdbeer- oder Himbeermilch differenzierter Magermilch oder hochrangigen Quarkprodukten vorziehen.

Mögen jene staatlichen Regelungen, die unser Land groß gemacht haben, auch weiterhin verhindern, daß die Marktwirtschaft uns alle verdirbt. In einer Welt, die immer feiler wird, sollte die Milch ein letztes Refugium des Guten, Wahren und Weißen bleiben. Stephan Reimertz