Gar nicht mehr wie Iditarod

Tropische Temperaturen von bis zu sieben Grad minus plagen die 63 Teilnehmer des 1.100 Meilen langen Schlittenhundrennens von Anchorage nach Nome im winterlichen Alaska  ■ Von Matti Lieske

Die Spur ist schnell, aber es ist einfach zu heiß“, beklagt sich Linwood Fiedler, nachdem er etwas mehr als ein Drittel des 1.100 Meilen langen Schlittenhundrennens von Anchorage nach Nome zurückgelegt hat. Fiedler stammt aus Alaska, deswegen darf man die Sache mit der Hitze nicht gar zu wörtlich nehmen. Temperaturen von sieben bis zehn Grad minus erscheinen aber auch den anderen Absolventen des berühmten Iditarod-Trails eindeutig zu warm. „Am Tag ist es so heiß und sonnig, daß niemand fahren mag“, sagt Rick Swenson, der die Prüfung schon fünfmal gewonnen hat, deshalb brechen die Musher in der Regel erst abends auf.

Gut für jene, die beim Iditarod für die Schwerarbeit zuständig sind. „Ich glaube, die Hunde haben Spaß“, sagt die begleitende Tierärztin Jean Dieden, die Temperaturen würden dazu zwingen, lange Pausen einzulegen, und die Tiere auf diese Weise geschont. Richtig in Hochform kommen die pelzigen Gesellen aber erst, wenn es hundekalt ist, um die dreißig Grad minus dürfen es schon sein. Fiedler jedenfalls hat beobachtet, daß einige seiner Angestellten es vorziehen, auf dem kühlen Schneeboden statt auf ihren bereitgelegten Strohlagern zu schlafen. „Bei einer so guten Spur und so gutem Wetter kommt es einem gar nicht mehr vor wie Iditarod“, sagt der Mann aus Willow, Alaska.

Die 63 gestarteten Schlittenführer sind sich jedoch einig, daß die Bedingungen nicht so bleiben werden. Zwar droht den Vorhersagen zufolge keine sturmumtoste Schlußphase wie etwa 1991, aber kälter wird es auf jeden Fall. Viel hängt davon ab, wie fit die Gespanne nach der vorgeschriebenen eintägigen Ruhepause sind, welche die meisten Teams am Mittwoch im Städtchen Takotna einlegten. Der Ort erlebt beim Iditarod-Race seinen Jahreshöhepunkt, und die ganze Bevölkerung ist auf den Beinen, um die Hunde zu hätscheln und die Musher mit Pfannkuchen, Eiern und Schinken zu bewirten. „Es ist der beste Platz für allen Komfort, den eine Kreatur braucht“, sagt Doug Swingley aus Montana, der einzige Nicht-Alaskianer, der auf dem Iditarod gewinnen konnte.

Spitzenreiterin Dee Dee Jonrowe zog es trotzdem vor, 38 Meilen weiter zu fahren und ihre Pause statt im gemütlichen Takotna in dem verlassenen Goldgräberstädtchen Ophir einzulegen. Von ihren ursprünglich sechzehn Hunden hat sie drei schon am ersten Tag entlassen müssen, macht sich aber deshalb keine Sorgen. Im letzten Jahr wurde die Frau aus Willow, die seit 1988 regelmäßig teilnahm und stets unter die ersten zehn kam, mit nur zehn Hunden Vierte. „Du mußt dafür sorgen, daß sie harmonieren und das Team nicht bloß für einen Hund läuft“, sagt die erfahrene Musherin.

Dennoch wird sie es nicht leicht haben, die Meute der Verfolger, unter denen sich neben Swingley und Swenson auch der zweimalige Champion Jeff King und Vorjahressieger Martin Buser befinden, auf Distanz zu halten. Die technisch schwierigsten Passagen des Trails sind allerdings bereits bewältigt. Die Dalzell Gorge zum Beispiel, mit Haarnadelkurven, Felsen und einem tückischen Gefälle; das Tal mit dem trügerischen Namen Happy Valley, in dem es erst steil bergab, dann wieder bergauf geht; oder das von Bisons bewohnte Gebiet mit dem Namen Farewell Burn, wo nach einem Feuer im Jahre 1977 zahllose verkohlte Baumstümpfe das Vorwärtskommen erschweren. „Es war schwer, die Spur zu finden“, sagt Dee Dee Jonrowe, „einmal haben wir uns um zwei Bäume gewickelt.“ Bill Cotter aus Nenana meinte nach Bewältigung des Farewell Burn, er fühle sich, als habe ihn jemand verprügelt.

Entschieden, da sind sich alle einig, wird das Rennen jedoch, wenn die Westküste Alaskas erreicht ist. Bevor die ersten Gespanne voraussichtlich am Dienstag in Nome eintreffen, führt die Strecke teilweise über das blanke Eis der Beringsee. Ohne Halt für die Füße, bei eisigen Temperaturen und scharfen Winden ermüden die Zugtiere schnell. „Dort brauchst du erfahrene Leithunde“, sagt Veteran Charlie Boulding, der noch vor einigen Wochen am Norton Sound an der Westküste trainiert hat. Etwas Besonderes hat sich für diese Phase des Rennens der Vorjahresfünfte Vern Halter einfallen lassen, der die letzten 77 Meilen des Rennens schon zweimal mit der schnellsten Zeit zurücklegte. Gestartet ist er in Anchorage mit einem 45 amerikanische Pfund schweren Schlitten, den Endspurt will er mit einem in Frankreich gefertigten 23-Pfund-Gefährt absolvieren.

So viele Gedanken über Taktik hat sich Rick Swenson nicht gemacht. Im letzten Jahr fehlte er, weil er noch über seine Disqualifikation von 1996 wegen des Todes eines seiner Hunde sauer war. In diesem Jahr möchte er endlich seinen sechsten Titel holen. „Keine Ahnung“, sagte der 46jährige aus Two Rivers vor dem Start auf die Frage nach seiner Strategie, „vielleicht binde ich meine Hunde bei Martin Buser an und lasse mich ziehen.“ Möglicherweise nicht die schlechteste aller Ideen.