Imbißbudenhumor

■ Warum der Nettmann ein Blödmann ist: Die Galerie Grober Unfug Mitte zeigt Comics, Schulaufsätze und Urkunden von Bärnd Schmucker

„Im Osten war alles nicht so richtig bunt, mehr so grau in grau“, sagt Bärnd Schmucker, Schöpfer und Alter ego seiner Comicfigur Nettmann. Außerdem waren coole Superhelden tabu, statt dessen wurden nur heldenhafte Kollektive, Helden der Arbeit, Kosmonauten und Lenin verordnet, wie Trostpreise.

Ohne den Westen gäbe es also keinen Nettmann – eine „irrecrazyverrückte“ Figur mit Kindergesicht, ganz in Schwarz und mit einem Plutoniumherzen in der Brust. Straßen würden nicht umbenannt, und er könnte niemandem den richtigen Weg weisen. Den Palast der Republik könnte er leider auch nicht abreißen. Er hätte wahrscheinlich Berufsverbot.

Aber DDR ist passé, und so kann Nettmann nach dem Rechten schauen und auf Patrouille gehen in eines jeden Bürgers Kiez. Da es zu „uffsehnerrejend“ wäre, wenn er fliegen würde, macht er das lieber mit seinem milchkaffeemetallicfarbenem Ford Taunus.

Soweit die nette Seite von Nettmann. Weil er aber eigentlich auch ein Blödmann ist, ein Ekelbatzen mit Berliner Kodderschnauze, fies und gemein, will er manchmal nur Spaß haben. Dann sinkt das Niveau seiner guten Ratschläge – für gute Taten ist er sowieso zu faul – in den Keller. Die Leser steigen also hinab bis zum Flachwitz, schlagen aber – so Schmucker – plötzlich lang hin, wenn es wieder ruckartig in die Höhe schnellt.

Nettmann macht vor nichts halt: Mal rät er der Omi an der Ampel, ruhig schon mal zu gehen, „sie haben ja nicht mehr so viel Zeit“, mal bedankt er sich bei Ausländern, weil sie ihm die Arbeit wegnehmen. Wenn er auf dem „Kurfürstendarm“ Kunstwerke von Christo enthüllt oder meint, Oralverkehr sei Geschmackssache, sind wir schließlich im tiefsten proletarischen, im trashigsten Imbißbudenhumor Berlins angelangt.

1994 dachte sich Bärnd Schmucker mit seinen Freunden, den Zeichnern der Comiczeitschrift Renate, daß es auch einen Superhelden geben müßte, der Einkaufstaschen nach Hause trägt und auf der Straße Blumen verschenkt. Weil hier immer gewann, wer den Witz als erster zeichnete, schnappte sich Schmucker ein Paßfoto von sich, schnitt einen passenden Kinderkörper aus dem Otto- Katalog aus, und fertig war der erste Nettmann.

Schmucker hat sich satt gesehen an putzigen Knollnasenmännchen oder politischen Karikaturen mit „frech dahingeworfenem Strich“. Deshalb greift er Grafiken aus der Flyer-Kultur auf, Muster und Piktogramme und schafft sich so die andere, die glitzernde Seite einer Superheldenexistenz. Sein Geld verdient Schmucker allerdings immer noch als braver Bankangestellter im zugeknöpften Musterhemd und allem, was dazugehört.

Auf den zehn Quadratmetern der Galerie Grober Unfug, Filiale Ost, hat er nun ein Paralleluniversum der guten Laune, des guten Geschmacks und der guten Taten aufgebaut. Neben Nettmann-Comics aus dem bei Jochen Enterprises erschienen Buch stellt er einen Kummerkasten bereit mit der Bitte, auf den Sorgenbriefen immer Namen und Adresse anzugeben, damit Nettmann antworten kann. Es sind Urkunden für lustige Kostüme im Ferienlager und Schulaufsätze über Sinn und Unsinn der Feuerwehr zu bewundern. Zur Vernissage werden „geistige Getränke“ gereicht. Außerdem treten die Gameboy Youth Desaster auf, eine Schülerband, die nicht von Pappe ist. Sie sind fünfzehn, heißen Florian und Evelin und haben eine aerodynamische V-Gitarre. Nettmann hat sie im Proberaum um die Ecke kennengelernt. Susanne Messmer

Bärnd Schmucker: Nettmann; bis 27.6., Mo.–Fr. 12–19, Sa. 12–16 Uhr. Eröffnung heute, 20 Uhr, Grober Unfug Mitte, Weinmeisterstr. 9b