Village Voice
: Ein Koffer voller Laub

■ Neue Niedlichkeit: Quarks verschönern mit „zuhause“ den Rückzug ins süße Heim

Da kehrt man nächtens heim und greift müde nach der Fernbedienung – und was sieht man da auf „Wah Wah“ bei VIVA, zwischen Hellacopters und Melvins? Patrick Wagner, Raik Hölzel und die unlängst von der Elbe an die Spree gezogene Constanze Brockmann stellen ihr Label Kitty-Yo vor und zeigen tolle Videos: Von Aphex Twin, von Tied and Tickled Trio und von den Quarks – dem tollen Berliner Elektro-Duo. Das besteht aus Niels Lorenz (früher Grace Kairos, neulich Maxim Rad) und Jovanka von Willsdorf (früher The Gelb, neulich Ocean Club), die ebenfalls das Tor zur Welt – wo man auf der Reeperbahn nachts um halb eins „Junge komm bald wieder“ singt – gegen Herz und Schnauze getauscht haben.

Ausgerechnet „Wiederkomm“ heißt denn auch der Song zum Video, und was da an neuer Niedlichkeit durchs Low- Budget-Filmchen geistert, geht auf keinen Kalbsrücken. Oder doch? Ein aus einer Kastanie und Streichhölzern gebasteltes Knuddeltierchen zieht mit 45rpm seine Kreise auf einem halbalten Plattenspieler, in einem gemütlichen Wohnzimmer passieren seltsame Dinge, in der Küche machen sich Buchstabenkekse selbständig, und obendrein haben sie noch einen Koffer voller Laub. Dazu kreisen leicht hallender Gesang und eine unspektakuläre Gitarre, während die Beats gemächlich wie ein Küstenmotorschiff tuckern. Was hat das zu bedeuten? Und: Wo gibt's denn so was?

Auf dem Longplayer beispielsweise, der nicht von ungefähr zuhause heißt und der das vorerst prominenteste und popkompatibelste Produkt des örtlichen Rückzugs in die eigenen vier Wände darstellt, der ja mit Wohnzimmeraktivisten von Karel Duba bis Joe Tabu und den örtlichen Homerecordern immer neue, entzückende Blüten treibt. Für alle, jeden und jede ist der Silberling allerdings nur bedingt gemacht: Es muß schon einiges zusammenkommen, bevor man ihn ohne Nebenwirkungen eingeworfen bekommt. Sympathie für frühe NDW beispielsweise, die sich eher im Geiste der genialen Dilettanten auf unvertrautes Terrain wagt, statt in Sommersprossen verschossen zu sein. Doch ein wenig Emo darf sein und sollte sogar. Denn Subjektivität, Intensität und gnadenlose Gemütlichkeit, die auch mal einen Blick auf alte Kinderzimmertapeten wagt, sitzen schon mit im Boot – wer also nach wie vor als Romantiker der alten Schule mit Stoppelschnitt und Hornbrille bleich im schwarzen Rolli rumläuft, darf getrost aussteigen.

Quarks wissen nämlich höchstens, daß sie, wir und die Frau im Mond nichts wissen: „Immer/ anders als ich dachte / fängt die / Welt von vorne an.“ Dazu hört man quer durchs ganze Geländer mit seinen dreizehn verspielten Ecksteinen die nettesten Sounds, die eine alte Synthie-Sammlung und eine halbantike Rhythmusmaschine so hergeben. Und wie die beiden aus „schwerelos“ im Handumdrehen „das schwere Los“ machen, verdient ein sprachloses Staunen. Den Preis für die bisher schönsten Formulierungen zum Thema teilen sich leider schon eine Tageszeitung und eine Musikzeitung aus dem Raum Köln: Sowohl die Beobachtung, man hänge der Sängerin an den Lippen, als wäre sie ein Medium, das verschlüsselt die Lottozahlen der kommenden Woche ausplaudere, als auch das Assoziationsfeld „Pusteblumen, Katzenpfoten, Partyküche (drei Uhr morgens)“ und insbesondere das Fazit „lecker erdbeerig“ sind nicht zu toppen. Daher an dieser Stelle das schnöde und obendrein bei den Quarks geklaute Rockfinish: Wenn der Tag nach Graubrot schmeckt, sich das Licht vor dir versteckt und es zieht dich, bis du fällst – dann brauchst du diese Platte. Und nicht nur dann. Yeah. Gunnar Lützow

Quarks: „zuhause“ (Indigo)