■ Jeder dritte will noch mehr Fliege. Eine Umfrage-Überprüfung
: Das Wort zum Hund zum Sonntag

„Die Fernsehzuschauer wollen auf das Wort zum Sonntag in der ARD nicht verzichten und hörten es am liebsten aus dem Mund eines Prominenten. Bei einer Umfrage der Programmzeitschrift TV Hören und Sehen sprach sich fast jeder dritte für den Talkshow-Pfarrer Jürgen Fliege aus.“ Ich habe, als ich diese Meldung in der Zeitung las, mich zu Hause direkt mal umgehört, weil – wir waren grade zu dritt. Inklusive mir also zwei Erwachsene und dann noch Gerda.

Gerda ist mein Hund. Eine ausgesprochen attraktive Dackel-Terrier-Mischung mit einem sehr feinen Charakter. Den kann man besonders gut daran erkennen, daß Gerda faul ist und gerne lange schläft. Außerdem hat sie einen wirklich guten Geschmack, den sie schon seit dem Welpenalter immer wieder eindrucksvoll unter Beweis stellt.

Sonntags reagiert sie zum Beispiel ausgesprochen unwillig und verärgert bellend auf frühmorgendliches Kirchengeläut. Ebenso böse wird sie, wenn irgendwo volkstümliche Musik gespielt wird. Und ganz schrecklich aggressiv kann sie werden, wenn sie der volkstümlichen Musikanten im Fernseher ansichtig wird. Dann geht sie wie eine Furie auf die Mattscheibe los, und man muß rechtzeitig das Gerät festhalten, damit es nicht vom Sockel fällt und die Bescherung groß ist. Das passiert außer bei volkstümlichen Musikanten sonst nur noch bei Kommissar Rex und anderen Filmen, in denen schauspielernde Tiere vorkommen. Und bei Gottesdienst- Übertragungen. Die werden aber in meinem Fernseher sehr selten eingeschaltet. Höchstens mal der Papst zu Weihnachten oder zu Ostern mit seinen lustigen Feiertagsglückwünschen auf Kisuaheli.

Dann schicke ich Gerda aber vorher immer raus in den Garten zum Katzenverscheuchen. Auf den Papst lass' ich sie nicht los. Nachher kommt sie nicht in den Hundehimmel, und da soll sie ja einmal hin. Ich wünsche ihr eine schöne weiche Zweierwolke mit einem flauschigen und potenten Bearded Collie, die mag sie besonders. Und gelenkig muß der Freier natürlich sein. Gerda ist ja sehr niedrig gebaut.

Sehr erstaunt war ich deswegen, als meine Umfrage, wer denn von den Anwesenden gerne Pastor Fliege beim „Wort zum Sonntag“ hören wolle, von den anderen Erwachsenen mit „ja bist du denn bescheuert?“ beschieden wurde. Und ich selbst will Fliege natürlich auch nicht sehen. Sonst nicht und beim „Wort zum Sonntag“ auch nicht! Was aber sowieso barer Unsinn ist, denn das „Wort zum Sonntag“ will ich selbst ohne Fliege nicht sehen! Und tue es ja auch nicht. Nie nicht. Da aber laut TV- Hören-und-Sehen-Umfrage angeblich jeder dritte Fernsehzuschauer sich auch noch samstags abends von Jürgen Fliege was zuleide tun lassen will, konnte in unserem Bunde ja nur noch Gerda die dritte sein.

Ja, Gerda kuckt gerne Fernsehen. Besonders gerne – ein weiterer Beweis für ihren guten Geschmack – an verregneten Februar-Sonntagen längliche Ski-Langlauf-Übertragungen und Bob- oder Rodelrennen. Vorzugsweise auf einem Kissen liegend, das auf meinen Füßen liegt, während ich auf dem Sofa liege. Wir dämmern dann immer so dahin, und ab und zu heben wir mal ein Lid, um zu gucken, ob noch skilanggelaufen, gebobt oder gerodelt wird. Und wenn ja, dann sind wir immer sehr beruhigt, seufzen synchron und lassen die Lider wieder fallen.

Und jetzt sollte ausgerechnet Gerda diejenige sein, die sich den Fliege wünscht? Meine Gerda, die Wintersportliebhaberin? Die Gottesdienst-Allergikerin? Sollte ich mich so in ihr getäuscht haben? Hatte diese Hündin, die ich zu kennen glaubte wie sie das Geräusch der sich öffnenden Schranktür, hinter der die Schachtel mit „Bonzos kleine Lieblingsknochen“ steht, hatte diese Hündin derartig abseitige Obsessionen? Das „Wort zum Sonntag“ mit Jürgen Fliege? Und wenn die Wahrheit noch so bestürzend sein sollte, ich wollte sie wissen.

Also kaufte ich mir im Zeitungsgeschäft eine Illustrierte, auf deren Titelseite ein buntes Jürgen-Fliege-Foto abgebildet war. Davon war reichlich Auswahl, denn der prominente Pastor hatte gerade einen Autounfall mit einer Sopranistin auf dem Beifahrersitz überlebt und war deshalb noch prominenter als sonst. Ich schnitt das Porträt aus dem Titelblatt aus und bastelte mir mit Gummiband eine Jürgen-Fliege-Gesichtsmaske. Damit setzte ich mich am Samstag abend rücklings vor meinen Fernseher. Gerda schaute mich mit glänzenden Augen an. Und ich begann mit duschgelweicher Stimme Fliege-Worte zu sprechen:

„Tiere nähern sich mir mit einer großen Zuneigung. Besonders Hunde sind von einer natürlichen Nähe zu mir beseelt, die höchstens zu vergleichen ist mit der Nähe, die ich zu mir selbst als von mir am meisten beeindrucktes Wesen habe. ,Ich rühre mich oft in diesen Momenten selbst zu Tränen. Tränen sind mir das Wichtigste, sie sind mir kostbar wie Perlen. Sie sind ein Teil meines Lebens, ich lasse sie von niemandem verächtlich machen. Aber ich will sie auch wie ein Gebet, eine Äußerung der Seele eines Menschen empfinden, und ich gebe meinem Gast die Möglichkeit, sich in ein stilles Kämmerlein zurückzuziehen, das in Jesu Namen nicht nur für innigste Gebete, sondern eben auch für innigste Tränen da ist. Sehen wir deshalb auch im feuchten Blick eines Wauwis die Aufforderung an uns alle, mich ebenso zu lieben wie ich mich selbst. Wuff.“

Und als ich die Fliege-Maske wieder abnahm, hatte sich Gerda vor lauter Ergriffenheit ins Fell gemacht. Jetzt war alles klar: Gerda war die dritte. Diese blöde Töle. Fritz Eckenga