Klage gegen die Willkür der Götter in Weiß

■ Gegen die gängige Praxis in Krankenhäusern klagt eine Ärztin, daß Assistenzärzte trotz Halbtagsverträgen Vollzeit arbeiten müssen

Vollzeitarbeit trotz halber Stelle und halber Bezahlung – in den Krankenhäusern der Stadt ist das aufgrund knapper Stellen mittlerweile normal. Doch gegen die von Chefärzten geförderte und von angehenden Fachärzten notgedrungen akzeptierte „Regelung“ wird jetzt juristisch angegangen: Eine 37jährige Ärztin klagt gegen das Krankenhaus Neukölln, weil sie 1996 in der dermatologischen Abteilung offiziell nur eine halbe Stelle als Assistenzärztin hatte, aber ganztags arbeiten mußte. „Ich möchte ein Signal gegen die Ausbeutung der jungen Ärzte setzen und angemessen für meine Tätigkeit bezahlt werden“, sagt Klägerin Petra Kossmann.

Der Hintergrund: Um nach dem Studium einen Facharztabschluß machen zu können, der wiederum nötig ist, um eine Praxis zu eröffnen, ist eine Weiterbildungszeit in Kliniken vorgeschrieben. In der Dermatologie dauert diese zwei Jahre, es müssen Operationen wie Tumorentfernung nachgewiesen werden. Die Stellen sind aufgrund der Sparmaßnahmen und des Stellenabbaus jedoch extrem knapp. Die Gewerkschaft der Ärzte, der Marburger Bund, schätzt, daß auf eine Stelle über zweihundert Bewerbungen kommen.

Diese prekäre Situation nutzen die Chefärzte der Kliniken schamlos aus, denn sie sind diejenigen, die den JungärztInnen für die Zulassung zur Facharztprüfung ein Zeugnis mit den Weiterbildungsnachweisen ausstellen. So werden viele von ihnen nur halb bezahlt, müssen aber als Vollzeitkraft arbeiten. In den Zeugnissen bekommen sie jedoch die notwendige Ganztagstätigkeit bestätigt – deshalb spielen die meisten Assistenzärzte notgedrungen mit.

„Wir sind absolut erpreßbar“, hat Petra Kossmann erfahren. Denn allein der Chefarzt entscheide, wer was erlernen und welche Operationen durchführen dürfe. Und, so hat es Kossmann immer wieder erlebt, wenn sich junge KollegInnen gegen unbezahlte Überstunden wehrten, würden sie einfach von bestimmten Tätigkeiten, wie eben Operationen, ausgeschlossen. Kossmanns ehemaliger Chefarzt, Peter Kohl, wollte sich gegenüber der taz zu den Vorwürfen nicht äußern.

Kossmann ist jetzt die erste, die in Berlin klagt. Cora Jacoby, ebenfalls am Neuköllner Krankenhaus tätig und Mitglied im Vorstand der Ärztekammer, geht davon aus, daß der Fall Kossmann „absolut üblich sei“. „Mir fällt kein Haus ein, wo es nicht so läuft“, sagt sie. Schlimmer noch als in städtischen Krankenhäusern würden angehende Fachärzte in privaten und kirchlichen Kliniken ausgenutzt. Jacoby hat deshalb innerhalb der Ärztekammer eine Initiative gestartet, wonach die Assistenzärzte zukünftig voll für ihre Arbeit bezahlt werden müßten. Doch ihre Position konnte sie gegen Ärztekammerpräsident Ellis Huber nicht durchsetzen: Zukünftig muß der Ärztekammer lediglich gemeldet werden, wenn unbezahlte Tätigkeiten im Rahmen der Weiterbildung geleistet werden. Werden diese nicht gemeldet und kommt heraus, daß Assistenzärzte unterbezahlt wurden, dann wird die Fortbildung von der Kammer nicht anerkannt. Außerdem darf höchstens ein halbes Jahr unbezahlt gearbeitet werden, so Jacoby.

Kossmann, deren Anwalt sich gute Chancen auf eine erfolgreiche Klage ausrechnet, muß in der nächsten Verhandlung beweisen, daß die Krankenhausverwaltung von ihrer unbezahlten Tätigkeit gewußt hat. Der Prozeß wird im Juli fortgeführt. Julia Naumann