Dokumentation der „Inneren Rüstung“

Der Informationsdienst Bürgerrechte & Polizei/Cilip wird 20 Jahre alt. Wegen akuter Finanznot ist die Zukunft des bundesweit einzigartigen Projekts sowohl für Polizei als auch deren Kritiker weiterhin ungewiß  ■ Von Sabine am Orde

„Den Jahrgang 1998 wird es noch geben“, sagt Otto Diederichs und fügt nicht zum ersten Mal hinzu: „Was dann passiert, steht in den Sternen.“ Denn seit 1994 bangen die Herausgeber von „Bürgerrechte & Polizei/Cilip“, zu denen Diederichs gehört, ob ihr bundesweit einzigartiger Informationsdienst auch im kommenden Jahr noch erscheinen wird.

Doch in diesen Tagen darf in der Redaktion im „Institut für Bürgerrechte und öffentliche Sicherheit“ an der Freien Universität erst einmal gefeiert werden: Mit der Nummer 59, die am Wochenende mit dem Schwerpunkt „Europas neue Grenzen: Schengen“ erscheint, begeht der Informationsdienst seinen 20. Geburtstag. Seit 1978 dokumentiert und analysiert Cilip (Civil Liberties und Police Development), das bis 1980 auf deutsch und englisch erschien, dreimal im Jahr auf rund hundert Seiten die Entwicklung innerer Sicherheitspolitik nicht nur in der Bundesrepublik.

„Wir planten kein Fachblatt zur Förderung akademischer Karrieren“, erinnert sich Falco Werkentin, Cilip-Mann der ersten Stunde, „sondern einen Informationsdienst, der in die tagespolitische Auseinandersetzung um die Politik innerer Sicherheit eingreifen sollte.“ Und die kochte damals: Die Nullnummer, die die Mitarbeiter eines Forschungsprojektes der Berghof-Stiftung für Konfliktforschung im Frühjahr 1978 in mehreren hundert Exemplaren kopierten, entstand im angeheizten Klima des Deutschen Herbstes.

Vorbild war das Stockholm Institute for Peace Research (Sipri), das die weltweite militärische Entwicklung analysiert: Cilip sollte, so Werkentin, „die ,Innere Rüstung‘ in Westeuropa dokumentieren“ und dem Internationalismus der Sicherheitsbürokratie einen mit bürgerrechtlicher Perspektive und Kritik entgegensetzen.

Dabei wollte Cilip beides liefern: nüchtern und exakt recherchierte Analysen polizeilicher Strategien und Konfliktverläufe, aber auch Anregungen zur offensiven Gegenwehr. So begleitete der Informationsdienst den Westberliner Häuserkampf und Anti-AKW- Demonstrationen, Aktionen gegen die Nachrüstung, die Volkszählung und die Weltbank-Tagung in Berlin im Jahre 1987. Hinzu kam die Veröffentlichung von Gesetzesvorlagen, die Cilip viele Jahre lang aus dem Innenministerium anonym zugespielt wurden.

„Immer, wenn draußen etwas passierte, spielte Cilip eine wichtige Rolle“, sagt Otto Diederichs. Mitte der 80er Jahre lag die Auflage bei 2.500, heute werden von jeder Nummer noch 900 Exemplare gedruckt. Doch die schwindende Auflage geht nicht nur auf das Konto ehemaliger AktivistInnen, auch aus öffentlichen Kassen fließt weniger Geld: „Auch Polizeibibliotheken müssen sparen“, weiß Cilip-Herausgeber Diederichs.

Im Osten Deutschlands hat der Informationsdienst keinen Fuß gefaßt: In der Schweiz werden mehr Hefte verkauft als in allen neuen Ländern zusammen. Dennoch: Nach wie vor ist Cilip eine wichtige Informationsquelle für PolizistInnen und PolizeikritikerInnen, für DatenschützerInnen und JournalistInnen, AnwältInnen und AktivistInnen. Und an Themen mangelt es nicht: Innere Sicherheit hat wieder Hochkonjunktur.

Hauptgrund für die Existenznot des Informationsdienstes ist die schwindende Auflage aber nicht. Viel wichtiger: 1994 stellte der Zigaretten-Erbe Jan Philipp Reemtsma nach acht Jahren seine Unterstützungsgelder ein, insgesamt hat er über drei Millionen in das Projekt gesteckt.

Seitdem greift der Förderverein des Instituts Cilip finanziell unter die Arme, doch das Geld reicht – auch ohne Lohnkosten für die Redaktion – natürlich vorne und hinten nicht.

„Cilip ist nach wie vor ein kleiner Kläffer an der monolithischen Wand der Inneren Sicherheit“, bilanziert Otto Diederichs, „mit einer Stimme, die leider immer dünner wird, aber weiterhin dringend gebraucht wird.“

Institut für Bürgerrechte und öffentliche Sicherheit/Cilip, Malteserstr. 74–100, 12249 Berlin, Tel.: 7792462, Fax: 7751073