In Jakarta haben sich wenige Tage nach den tödlichen Schüssen auf demonstrierende Studenten die Proteste gegen das Regime in einen Aufstand verwandelt. Die Polizei lieferte sich gestern in der indonesischen Hauptstadt Straßenschlachten mit

In Jakarta haben sich wenige Tage nach den tödlichen Schüssen auf demonstrierende Studenten die Proteste gegen das Regime in einen Aufstand verwandelt. Die Polizei lieferte sich gestern in der indonesischen Hauptstadt Straßenschlachten mit Plünderern und Demonstranten.

Warten auf das Gewitter

Jakarta in Wartestellung. An Straßenrändern, auf Brücken, Hausbalkonen und Dächern stehen die Bewohner der Stadt und schauen auf die Rauchsäulen, die an allen Ecken der Stadt aufsteigen. Gruppen von Jugendlichen sitzen auf dem Bürgersteig. Viele unterhalten sich leise, andere blicken nur vor sich hin. Vor den Häusern stehen Mütter mit Kindern. Die Gesichter sind besorgt und angeregt zugleich. Eine merkwürdig gedämpfte und zugleich gespannte Stimmung liegt in der Luft, eine Stille wie vor einem Gewitter. Plötzlich kommt Bewegung in die Menge, die sich an der Kreuzung versammelt hat. Eine Gruppe Jugendlicher stürzt einen LKW um und setzt ihn in Brand. Eine andere Gruppe stürmt in die Ladenzeile wenige Meter weiter, zerschlägt die heruntergelassenen Jalousien und beginnt zu plündern. Aber niemand greift ein, Polizisten sind nicht zu sehen, ab und zu fährt ein Krankenwagen vorbei, Feuerwehrwagen kommen heute schon längst nicht mehr.

Zwei Tage nach den Schüssen auf die Studenten der Trisakti- Universität haben sich die Proteste gegen das Regime von Präsident Suharto in einen Aufstand verwandelt. Es ist eine eigene Mischung aus Wut und Erleichterung, die sich mitteilt. Junge Männer plündern, zündeln, zerschlagen Autos. Ältere Leute, wohlgekleidete Bürger mit Aktentasche und Handy, schauen zu. Die verhaßte Polizei, die nach verbreiteter Ansicht Schuld an dem Massaker ist, liefert sich noch in einigen Distrikten Straßenschlachten mit Plünderern und Demonstranten. In vielen Bezirken der Stadt scheint sie wie vom Erdboden verschwunden. Der Polizeiposten an der Diponegoro-Straße in der Nähe der Zahnärztlichen Fakultät der Indonesischen Universität ist niedergebrannt, nur noch die verkohlten Mauern sind zu sehen.

„Die Wachen sind aus Angst weggelaufen, sie haben sogar ihre Mützen liegenlassen“, berichtet ein Zuschauer von einer ebenfalls angezündeten Polizeistation einige Straßen weiter mit deutlicher Genugtuung in der Stimme. Die Busse fahren nicht oder nur sporadisch, Büros und Behörden haben bereits um die Mittagszeit geschlossen und ihre Mitarbeiter nach Hause geschickt, die nun durch die Straßen wandern.

Die Jalousien der meisten Geschäfte sind unten. Einige haben Transparente vor ihre Läden gehängt, auf denen sie ihre Unterstützung für die im Widerstand gegen Suharto erschossenen „Helden“ bekennen oder „Reformasi“ fordern. Andere haben einfach „Muslim“ an ihre Türen gepinselt, in der Hoffnung, von den Übergriffen gegen die chinesische Minderheit verschont zu bleiben, die für die Preiserhöhungen und die ganze wirtschaftliche Ungerechtigkeit unter Suharto verantwortlich gemacht wird.

Allerdings hilft das nicht allen: Dunkle Rauchwolken dringen aus dem Autohaus „Astra“, an dem der zweitjüngste Suharto-Sohn Bambang beteiligt ist. Und nur eine ganze Einheit von Soldaten in Kampfuniformen, die aufgeboten wurde, kann offenbar verhindern, daß dessen Bimantara-Geschäftshaus ebenfalls in Flammen aufgeht. Vorsichtig bahnen sich einige wenige Autos durch die Scherben auf der Fahrbahn, vorbei an umgestürzten Laternenmasten, Straßenschildern und zerbrochenen Blumenkübeln. „Polizei, Polizei!“ ruft ein Motorradfahrer, gibt Gas und sucht Schutz in einer Seitengasse.

Auf einer zentralen Straße der Stadt rollt mit großer Geschwindigkeit ein kleiner Konvoi von vier Panzern mit aufgesetzten Haubitzen heran. Vorne auf dem ersten steht ein lachender Uniformierter mit ausgebreiteten Armen. Die Leute auf der Straße lächeln nicht zurück. „Das sind die Männer von Suharto“, sagt der Motorradfahrer. „Die sind schlecht.“ Ein paar Minuten später und eine Straßenecke weiter laufen zwei Uniformierte durch die Menge. Sie unterhalten sich, beobachten gelassen, wie ein Bauwagen mitten auf der Fahrbahn verbrennt, sie grüßen Bekannte rechts und links. Die beiden zählen offenbar zu den „guten Soldaten“, sie werden angelächelt, sie gehören dazu. Sie verziehen auch keine Miene, als ein paar Jungen mit offensichtlich gerade gestohlenen Säcken Nudeln und Reis an ihnen vorbeigehen.

Anders als die Polizei sei „die Armee gut“, sagt ein Mann auf der Straße, der auf eine Stelle zeigt, wo bei den Auseinandersetzungen am Morgen zwei Menschen von Polizisten erschossen wurden. Die Armee „wird sich weigern, ihre Waffen auf uns zu richten“, sagt er. Die Umstehenden nicken.

Abends fahren Panzerwagen durch die Stadt. Immer noch steigen die Flammen auf. Die Stadt ist voller Gerüchte. In wenigen Stunden soll der Präsident wieder eintreffen. „Wissen Sie, was hier los ist“, spricht ein gepflegter Herr die Fremden an, „wir wollen Suharto loswerden, wir brauchen Reformen.“ Auf die Frage „Wer soll statt dessen die Regierung übernehmen?“ heißt es: „Das weiß ich auch nicht. Es gibt niemanden.“ Jutta Lietsch, Jakarta