„Schätzchen, da mußte durch...“

...reimt sich mit Schmackes auf „Charlottenburch“: Am Theater des Westens hatte mal wieder ein Musical Premiere, genauer gesagt: ein Hauptstadtmusical  ■ Von Axel Schock

Das erste, was mir meine Mutter in Sachen Wäschewaschen einst beigebracht hat, war: ordentlich sortieren! Jeans, das lila selbstverbrochene Batik-T-Shirt von der Jugendfreizeit und das grauslige Sonntagshemd für Omas Siebzigsten in einer Trommel – das ging nicht. Also hübsch Häufchen machen.

Am Theater des Westens kommt diese Faustregel zwar auch mal vor, sogar gesungen, aber so richtig dran gehalten hat sich niemand. Was Hausherr Helmut Baumann sich ausgedacht und inszeniert, die Fernsehautoren Felix Huby und Heinz Kahlau schließlich an Story und Dialogen zu Papier und Niclas Ramdohr musikalisch zu Wege gebracht haben, ist der Griff in den großen Haufen Schmutzwäsche. Von allem ein bißchen kann nicht nur schaden, sondern bringt zugleich Farbe auf die Bühne. Dachte man sich. Aber statt strahlend weiß und leuchtend bunt ist's nun doch eher fade grau geworden.

Ein Hauptstadtmusical also. Ein neuerlicher Versuch. Die Neuköllner Oper hat unlängst den Bauboom und den Regierungsumzug zu einer mäßig gelungenen Story verpackt. Das Grips versuchte sich mit „Café Mitte“ an einer Fortsetzung zur schon legendären „Linie 1“. Die Inspiration ist überdeutlich, und auch die „Westside Story“ läßt von ferne grüßen in diesem Potpourri der Berlin-Klischees der 90er Jahre. Im Abendrot über Berlin strahlen die Baukräne; eine internationale Bauarbeitergruppe singt „Berlin ist auf Bier gebaut“, Alt-Ökos haben immer noch lange Haare und nervige Beziehungsgespräche.

Es gibt Schwule (nervtötend trutschig), Kiezmütter mit großem Herzen und Berliner Schnauze (Dagmar Biener), Wessis, die sich in die „spannende Stadt“ verlieben und reden, als hätte man ihnen auf offener Straße einen Fremdenverkehrsprospekt in die Hand gedrückt. Und dann natürlich auch Arbeitslosigkeit, Fremdenhaß, Gewalt, Rechtsradikale...

Minchens Waschsalon in Mitte ist ein heimeliger Kiez-Treffpunkt, wo jeder jeden kennt und sich die Essenz des wahren Berlin auf wenigen Quadratmetern versammelt. Wenn der Vorhang aufgeht, dreht sich eine überdimensionale Waschtrommel, und Tänzer purzeln als lebende Weißwäsche im Takt der Ouvertüre in diesem Mammutrönrad.

Wenn sich dann die Szene füllt, von allen Seiten und vom Schnürboden binnen Sekunden ein ganzer Waschsalon auf die Bühne gerollt und vom Schnürboden heruntergeschwebt kommt, beweist das Theater des Westens wieder einmal mehr seine ureigenen Qualitäten: technische Perfektion in der Ausstattung als auch im Ensemble.

Doch dann beginnen die Halbheiten. In jeder Minute dieser zweieinhalbstündigen Aufführung spürt man das Wollen. Berlins soziale Probleme samt Multikulti- Image in eine einigermaßen spannende und Entertainment-gerechte Handlung zu pferchen, das gelingt nur bedingt und verlangt zu guter Letzt eine Holzhammer- Dramaturgie, die den hohen Anspruch gleich wieder zunichte macht. Wo die „Linie 1“ mit ironischer Übertreibung der Klischees agierte, nehmen die Autoren des TdW die Stereotypen viel zu sehr für bare Münze.

In das bunte Durcheinander von Berlin-Versatzstücken fügt sich auch Niclas Ramdohrs Musik. Symphonischer Rock, mit HipHop- und Rap-Elementen durchmengt, für die „Viva-Generation“; Bänkellieder und heimelige Schlager in der Tradition von Hollaender & Co. für die Chefin des Waschsalons und die besorgten Bielefelder Eltern der Jurastudentin. Manches bleibt tatsächlich im Ohr, einiges allerdings klingt nach einer allzu fraternisierenden Melange aus Jugendkultur und Berlinposse à la „Hochzeit bei Zickenschulze“.

Daß diese mutige wie bemühte Uraufführung dennoch kein Flop wurde, liegt vor allem an dreierlei: der optisch wie szenisch einfallsreichen und pointierten Umsetzung (Bühne Mathias Fischer-Dieskau), der schauspielerischen Leistung des Ensembles und der Tanzszenen.

Ole Solemon Junge als farbiger Pit muß rappen, singen, steppen, tanzen und dabei auch noch Solo- Trompete spielen. Und das alles tut er, mehr oder weniger gleichzeitig, mit Charme und viel Energie. Wenn die Glatzen-Gang den Waschsalon aufmischt, fliegen bedrohlich und akrobatisch zugleich die Fetzen (Stunts-Einstudierung Alister Mazzotti, Choreographie Melissa King).

Und Sylvia Wintergrün darf als piepsige wie vulgäre ewige Loserin und Ex-Friseuse Jacqueline so richtig auf Zille-Milljöh machen und Verszeilen singen wie „Ick sage mir: Schätzchen, da mußte durch! / Zieh dir die Lippen nach und dann / Fährste nach Charlottenburch.“ Das könnte unser Durchhaltelied zum Regierungsumzug werden.

„30-60-90 Grad, durchgehend geöffnet“, Regie: Helmut Baumann. Musikalische Leitung: Niclas Ramdohr/Robert Edwards, Choreographie: Melissa King, mit: Ole Solemon Junge, Anna Bolk, Elke Rieckhoff, Bodo Wolf, Dagmar Biener, Günter Junghans u.a. Bis 2. August, Di.–Sa. 20 Uhr, So. 18 Uhr am Theater des Westens, Kantstr. 12, Charlottenburg.