Zeltlager mit Christoph

■ In Schlingensiefs "Hotel Prora" im Prater übernachten die Gäste bei künstlichem Lagerfeuer in Campingzelten. Unter dem Motto "Halten wir uns eigentlich noch aus?" gibt es Zimmer ohne Aussicht

Christoph Schlingensief freut sich wie ein Schneekönig. Mit leuchtenden Augen rast er um die Iglu-Zelte. Im braun-orangen Camping-Anhänger Modell „Klappfix“ können acht Leute schlafen, der Kanarienvogelkäfig steht bereit, die roten Geranien sind gerade geliefert worden. Bei strahlendem Sonnenschein draußen wird im dunklen Saal am künstlichen Lagerfeuer mit der Gitarre schon mal die Abendstimmung einer evangelischen Jugendfreizeit geprobt. Mit Klappstühlen und eingespieltem Vogelgezwitscher ist die Atmosphäre eines Ferienlagers im Prater in Prenzlauer Berg perfekt.

Unter dem Motto „Halten wir uns eigentlich noch aus?“ eröffnet heute das „Hotel Prora“, das neueste Brimborium von Christoph Schlingensief und seiner Arbeitslosenpartei „Chance 2000“. In einer neuntägigen Nonstop-Aktion können jeden Tag neue Gäste an einer plüschigen Rezeption einchecken und eine Nacht lang ihre Sozialverträglichkeit testen. „Alle Zimmer haben keine Aussicht“, preist der Prater, die Außenstelle der Berliner Volksbühne, das Hotel an. „Theatrale Anfangs- und museale Öffnungszeiten sind abgeschafft.“

Ob ein Schlafplatz wie angekündigt zwischen 30, 60 und 90 Mark kostet, weiß Bühnenbildnerin Nina Wetzel angesichts des bescheidenen Komforts noch nicht genau. Für fünf Mark können Zaungäste jedenfalls hinter einem Absperrgitter den anderen beim Urlaubmachen zusehen. Auch Arbeits-, Obdach- oder sonstwie Mittellose, die sich den Übernachtungspreis nicht leisten können, dürfen dabeisein: Sie können versuchen, als zusätzliches Hotelpersonal anzuheuern – „für freie Magerkost, mitputzen, mitservieren, mitentsorgen“.

Auf der Bühne steht ein offener Campingwagen, in dem Animateur Schlingensief wohnen wird. Daneben ein Käfig, in dem die Parteizentrale im Internet surft. Das fidele Ferienlager steht ganz im Zeichen des Wahlkampfes von „Chance 2000“, der inzwischen rund tausend Mitglieder zählenden Partei. Wer sich spontan dazu bereit erklärt, einen Landesverband zu gründen, bekommt einen Matratzenplatz in der Feriensiedlung gratis.

Mit von der Partie sind die üblichen Verdächtigen: Werner Brecht als Portier, Achim von Paczensky als Zimmerservice, Axel Silber als Liftboy und Kerstin Grassmann als Bardame.

Neben einem reichhaltigen Frühstücksangebot wirbt das „Hotel Prora“ mit Freizeitprogramm: Pingpong, Sauna, Kegelabende, ein Ausflug zu „Ilja's Modestübchen“ nach Massow und ins KaDeWe sind vorgesehen. Ein Aerobic-Training könnte darin bestehen, die Stadt mit Parteiplakaten zuzukleistern, erzählt Charme- Profi Schlingensief, der inzwischen zum Basis-Inventar jeder deutschen Talkshow gehört. Der Wannsee soll mit dem Parteilied „Freund, Freund, Freund“ beschallt werden.

Angeregt von der Funktionalisierung der Bettensiedlung Prora, die in den 30er Jahren auf der Insel Rügen von den Nationalsozialisten für 20.000 Urlauber der NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ gebaut wurde, will Schlingensief mit seinem „Hotel Prora“ Urlaubsfabrik spielen. Chance 2000 will im Prater ausprobieren, wie autonom eine solche Feriensiedlung überhaupt funktionieren kann.

Einerseits träume jeder von Jugendfreizeiten und gemeinsamen Urlauben, andererseits sei so was „familiärer Terrorismus“. Gemäß dem Parteislogan „Wähl dich selbst“ verspricht der Schlingensief-Kosmos den Gästen nicht mehr als sie selbst. Mit einem Honigkuchenpferdlächeln wird von ihnen lediglich gefordert: „Beweise, daß es dich gibt.“ Es gelte – Hoteldirektor Schlingensief fuchtelt mit den Armen – die These zu überprüfen, nach der „Urlaubsflüge nach Mallorca der Zweite Weltkrieg mit den Mitteln der 90er“ seien.

Über mangelnde Urlaubsinteressenten brauchen die ambitionierten Parteifreunde nicht zu klagen. Anfragen aus München und Düsseldorf seien schon angekommen, und „im Internet ist die Hölle los“, kichert Schlingensief. Der Mann könnte auch Einfamilienbungalows verkaufen, er würde sie alle loswerden.

Inzwischen tragen umtriebige Helfer eine Juke-Box durch den Raum. Der Flipper steht schon, das Gummiboot fehlt noch. Der Beleuchter taucht den Raum in fahles Mondlicht und zaubert mittels einer an der Decke hängenden Diskokugel einen Sternenhimmel über das Zeltdorf. Schlingensief grinst diebisch: „Wenn einer schnarcht, ist es aus.“ Kirsten Küppers

Hotelbuchungen an der Tageskasse der Volksbühne (Telefon: 2476772 und 2477694)