Schweden darf nicht aussteigen aus AKWs

Gericht entschied: Vorläufig keine Abschaltung des Barsebäck-Reaktors. Eigentumsinteressen wiegen schwerer. Hinter den AKW-Betreibern steckt der deutsche Stromkonzern PreussenElektra  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Die schwedische Regierung kann den ersten Reaktor des südschwedischen AKWs Barsebäck nun doch nicht am 30. Juni abschalten. Dies untersagte gestern das schwedische „Regeringsrätten“, das Oberste Verwaltungsgericht. Damit ist möglicherweise der gesamte Ausstieg des Landes aus der Atomkraft in Frage gestellt, auf jeden Fall aber der ursprüngliche Ausstiegsfahrplan.

Das schwedische Parlament hatte mehrheitlich auf Grund einer Volksabstimmung aus dem Jahre 1970 das Stillegen der ersten beiden von 12 Atomreaktoren zum 1. Juli 1998 und 2001 beschlossen. Der jetzige Stopp des Gerichts kam völlig unerwartet: Das „Regeringsrätten“ hatte es bislang vermieden, sich in politische Entscheidungen einzumischen.

Angestrengt hatte die Klage gegen den Ausstieg die AKW-Eigentümerin, die Sydkraft AB. Größter einzelner Aktionär ist dort nach massiven Aktienkäufen mittlerweile die deutsche PreussenElektra. Deren Vorstandschef Hans- Dieter Harig wird bei bei der Jahreshauptversamlung von Sydkraft Ende Mai dort ebenfalls den Posten des Vorstandsvorsitzenden übernehmen und ist damit für die schwedischen AKWs Barsebäck und Oskarshamn verantwortlich. Die Klage hatte das Unternehmen mit Verletzung ihres Eigentumsrechts begründet – die Entschädigungsfrage ist bislang noch nicht geklärt – und mit Formfehlern.

Zentral war für das Gericht die Argumentation von Sydkraft, die Regierung habe eine nach EU- Recht zwingend erforderliche Umweltfolgenanalyse nicht vorgenommen. Es fällte den jetzigen Beschluß im Rahmen eines pauschalierten Eilverfahrens, die eigentliche ausführliche rechtliche Prüfung wird in einem späteren Hauptverfahren stattfinden. Die Regierung, so das Gericht, habe versäumt darzustellen, daß Schäden für die Umwelt drohten, falls das AKW nicht zum 1. Juli stillgelegt werde. Sydkrafts Betreiberinteresse sei daher vorrangig, weil dem Unternehmen Verluste drohen, wenn sie Barsebäck jetzt abstellten. Schließlich könne sich das Ausstiegsgesetz noch als verfassungswidrig erweisen.

Über das eigentliche Verfahren vor dem „Regeringsrätten“ hinaus verspricht die gerichtliche Prüfung des schwedischen Ausstiegsbeschlusses noch weiter auf die lange Bank geschoben zu werden. Das Gericht deutete bereits gestern an, daß man wohl noch den EU-Gerichtshof einschalten muß, um Fragen nach der Auslegung einiger EU-rechtlicher Bestimmungen zu klären – was die Entscheidung um Jahre verzögern könnte.

Innenpolitisch ist die völlig unerwartete Entscheidung des „Regeringsrätten“ eine schwere Niederlage für die sozialdemokratische Regierung, die um so folgenreicher werden könnte, als in Schweden im Herbst Parlamentswahlen anstehen. Oppositionsführer Carl Bildt sprach von einer „beispiellosen Ohrfeige“: noch nie sei in Schweden eine solch wichtige politische Entscheidung per Gericht gestoppt worden. Die Befürchtung, man habe den Ausstiegsbeschluß juristisch nicht ausreichend abgesichert, war allerdings auch aus der Anti-Atom-Bewegung zu hören, die dies mit dem Vorwurf verbindet, der Regierung – die Sozialdemokratie ist über die Ausstiegsfrage intern stark zerstritten – sei ein Verschieben des Ausstiegs gar nicht so unrecht.