Ein bißchen Horror, Astro und Piraterie

Der Filmpark Babelsberg lockt auf einem sechs Hektar großen Areal zum Eintauchen in die Filmwelt. Nostalgisch wird die Vergangenheit beschworen, doch dem Standort fehlt der frische Wind. 100 Millionen Mark von Sony sollen Abhilfe schaffen  ■ Von Jeannette Goddar

Lässig fliegt das Muskelpaket in den zerrissenen Jeans durch das große Loch, das bei „echten“ Trucks mit einer Windschutzscheibe ausgestattet ist. Unbekümmert und – wen wundert's – völlig unverletzt erhebt er sich ein paar Sekunden später aus dem Trampolin, rückt das Baseballcap zurecht, schüttelt seinen langen Zopf. Die Fransen seiner Lederjacke wehen im Wind. Aus den Boxen schallt ein Sound, der verdächtig nach Status Quo klingt.

Die Kulisse ist auf Bronx getrimmt. Ein paar gestapelte Autowracks, ein bißchen Graffiti, ein angemalter Bus. „Soll er noch mal?“ brüllt ein weiterer langhaariger Mittzwanziger mit offenem Hemd ins Mikro. „Ja!“ brüllt es aus ganz furchtbar vielen Kinderhälsen. „Das versteht er nicht! Noch einmal lauter!“

Als Erwachsener versteht man das auch alles nicht so recht – aber die Stunt-Show „Final Countdown“ ist einer der Höhepunkte im Filmpark Babelsberg, der seit 1993 auf einem sechs Hektar großen Areal Erwachsene und Kinder für den stattlichen Preis von 28 beziehungsweise 21 Mark pro Tag zum Eintauchen in die Filmwelt lockt.

Wo einst Marlene Dietrich bei den Dreharbeiten zum „Blauen Engel“ lasziv ihre Beine kreuzte und zu DDR-Zeiten Filmgrößen wie Heiner Carow und Armin Müller-Stahl ihre Kameramänner durch die Gegend scheuchten, lockt heute jede Menge Nostalgie: Auf einem Hügel starren selige Mittfünfziger erstmals auf das „Originalschloß“ des Kleinen Muck, im Fundus wird der Kulisse des Klassikers „Mephisto“ von 1928 alle Ehre zuteil. Vor den Augen der neugierigen Besucher gearbeitet wird lediglich im Atelier des Sandmanns, der dank heftiger Proteste als eine der wenigen DEFA-Figuren das Ende der DDR überlebt hat. Hier kann man zugucken, wie Mondfahrzeuge geschnitzt oder Sandmann-Höschen genäht werden.

Ansonsten gibt es alles, was ein klassischer Vergnügungspark so vorweisen können muß: ein bißchen Horror, ein bißchen Astro, ein bißchen Piraterie. Seit neuestem hat auch Kultzeichner Janosch seinen eigenen Garten im Filmpark: In kleinen Booten werden die Besucher vorbei an Bärchen und Tigerente manövriert, um schließlich in einer bizarren Unterwasserwelt zu enden. Oh, wie schön ist Panama!

Die Idylle des Filmparks täuscht allerdings leicht darüber hinweg, daß gleich nebenan wie wild gearbeitet und gebaut wird: Seit die Mitarbeiter der DDR-Traditionsanstalt DEFA 1992 unter Schmerzen ihre Sachen packen mußten, ist das Gelände, das inzwischen auf eine 86jährige Filmgeschichte zurückblicken kann, nicht mehr wiederzuerkennen.

Damals tauchte der Regisseur Volker Schlöndorff auf – frisch zurück aus Hollywood – und wollte das Babelsberger Erbe neuem Ruhm zuführen. Mit Millioneninvestitionen des französischen Konzerns CGE und gemeinsam mit dem Geschäftsführer Pierre Couveinhes hatte Schlöndorff, der für seine „Übernahme“ damals heftig kritisiert wurde, weil ihm unterstellt wurde, er mache sich zum Handlanger vom Spekulanten, hochtrabende Pläne: In der einen Halle sollten „Wim Wenders oder Werner Herzog drehen, in der daneben Louis Malle oder Claude Chabrol, da kommen Engländer wie Peter Greenaway oder Amerikaner wie Martin Scorcese“.

Sie kamen alle nicht – und auch Volker Schlöndorff, der einzige deutsche Regisseur, der je einen Oscar bekam, verabschiedete sich Anfang des Jahres wieder – zurück nach Hollywood. „Vom Managen habe ich die Nase voll“, sagte er noch, und „Hollywood ist die A-Liga. Nur ein amerikanischer Film hat heute Chancen, weltweit gesehen zu werden.“ Seinem Babelsberger Projekt attestierte er immerhin, daß man „da jetzt keinen Parkplatz mehr findet“. Kreativ sei die Bilanz negativ, volkswirtschaftlich positiv.

Rein statistisch stellt sich die Bilanz folgendermaßen dar: Die CGE hat bis heute 400 Millionen Mark in die Medienstadt Babelsberg investiert. Außer der Studio Babelsberg GmbH haben sich auf 460.000 Quadratmetern über 80 Firmen angesiedelt, unter anderem der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg, Bertelsmann, die Film- und Fernsehhochschule Konrad Wolf sowie diverse Multimedia-Anbieter. Das Ganze wird zusammengefaßt in der Medienstadt Holding GmbH. Bis zum Jahr 2010 soll hier weitergebaut werden. Dann sollen 437 Firmen mit 11.000 Beschäftigten sowie 641 Privatwohnungen entstanden sein. Inhaltlich lassen die Produkte des traditionsreichen Geländes allerdings nach wie vor eher zu wünschen übrig: „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, „Vera am Mittag“, „Dr. Bruckner“. Selbst der letzte Schlöndorff-Film „Der Unhold“ erwies sich an den Kinokassen als Flop.

Statt auf anspuchsvolle Kost setzt die Medienstadt Holding Babelsberg auf High-Tech, Multimedia und Postproduktion. Für 18.000 Mark am Tag können sich Filmemacher längst ein „virtuelles Studio“ mieten, in dem sie ihren Schauspieler durch das leere Studio traben lassen und ihn nur noch virtuell auf den Times Square verfrachten. Als vorerst letzten Coup der Medienstadt hat pünktlich zur Berlinale der Unterhaltungsmulti Sony sein Engagement angekündigt. Für rund 100 Millionen Mark will der Sony-Konzern bis zum Jahr 2005 deutsche Kinofilme in der Region Berlin-Brandenburg finanzieren.

Seitdem hofft man in der Filmstadt Babelsberg wieder darauf, daß der Schlöndorffsche Traum des zweiten Hollywoods eines schönen Tages doch noch wahr werde. Jürgen Schau von der Sony- Tochter Deutsche Columbia Tristar Film Production GmbH traf nach dem Einstieg seiner Firma den Nagel jedenfalls schon auf den Kopf: Babelsberg, sagte er, sei ein „Sauerstoffzelt, das schon viel Ozon bekommen hat“. Nun solle dort endlich einmal frischer Wind wehen.