Osttimoresen begnadigt

■ Präsident Habibie amnestiert Gefangene und will Militärkontrolle in Ost-Timor lockern

Bangkok (taz) – Vor dem Gefängnis von Dili in Ost-Timor warteten die Angehörigen gestern vorerst vergeblich: Die von Indonesiens neuem Präsident B. J. Habibie begnadigten politischen Häftlinge weigerten sich, das Gebäude zu verlassen. Wie die britische BBC berichtete, verlangten die 15 Osttimoresen statt dessen, alle anderen politischen Gefangenen ebenfalls zu amnestieren. Habibie hatte die Freilassung damit begründet, dies solle „die Menschenrechte und Einheit und Zusammenhalt der Nation stärken“.

Mehrere der Osttimoresen waren vor einem Jahr bei einer Demonstration in Dili festgenommen worden, als sie einem UNO-Vertreter Petitionen überreichen wollten. Habibie deutete zugleich an, daß er die scharfe Kontrolle des Militärs über die ehemalige portugiesische Kolonie lockern will. „Ich bin bereit zu überlegen, Ost- Timor einen Sonderstatus zu gewähren“, sagte er. Die Region könne eine ähnliche Position wie die Hauptstadt Jakarta, die Region Aceh auf Sumatra und die Sultansstadt Yogyakarta erhalten.

Die drei Gebiete haben etwas mehr Selbstverwaltungsrechte als der Rest Indonesiens. Den 1993 zu 20 Jahren Gefängnis verurteilten Chef der osttimoresischen Befreiungsbewegung Fretilin, José Alexander „Xanana“ Gusmao, werde er allerdings nicht begnadigen, meinte Habibie. Vorher müßten die UNO und Portugal Ost-Timor als integralen Bestandteil Indonesiens anerkennen. Die Vereinten Nationen haben die Annexion von 1976 nie akzeptiert. Völkerrechtlich ist Portugal immer noch Verwaltungsmacht Ost-Timors.

Vielen Osttimoresen geht das Zugeständnis Habibies nicht weit genug: Auf dem Gelände der Universität von Ost-Timor in der Hauptstadt Dili verlangten am Mittwoch Tausende Demonstranten „völlige Unabhängigkeit“ und ein Referendum über den Inselteil. Der exilierte Ost-Timor-Aktivist, Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta, wies das Angebot ebenfalls zurück: Die Regierung „käut nur ihre alte Position wieder“, sagte er: „Zuerst sollen die Vereinten Nationen die illegale Annexion Ost-Timors durch Indonesien anerkennen.“ Erst dann „wären sie vielleicht bereit, einen Wischiwaschi-Sonderstatus für Ost-Timor in Betracht zu ziehen“.

Der Bischof von Dili und Co- Friedensnobelpreisträger Carlos Belo, kommentierte die jüngsten Äußerungen des Präsidenten nicht. Er hatte in den letzten Tagen vor allem gefordert, die Regierung solle ihre Soldaten abziehen. Indonesiens Außenminister Ali Alatas sieht in den jüngsten politischen Entwicklungen jedoch „eine neue Gelegenheit oder große Chance, eine faire Lösung des Ost-Timor- Problems zu finden, die von allen Seiten akzeptiert wird.“ UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat sich als Vermittler bei den zähen Ost- Timor-Verhandlungen zwischen Portugal und Indonesien angeboten. Auch wenn eine Lösung noch in weiter Ferne ist, scheint doch ein deutlicher Wandel in Jakarta eingeleitet: Habibies Vorgänger Suharto hatte jede Debatte über die „27. Provinz“ Ost-Timor unterdrückt. 200.000 Menschen sollen seit der Besetzung durch Indonesien in dem Gebiet umgekommen sein. Jutta Lietsch