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Ordnung schaffen mit Krawatten

Ehemalige Arbeitslose sollen in der Hasenheide den Eindruck von Sicherheit verbreiten: Sie stoppen Radfahrer, löschen Grillfeuer und lassen Hunde an die Leine legen. Neuartiger Mix aus Arbeitsförderung und Kriminalitätsvorsorge  ■ Von Hannes Koch

Die kleinen Sünden entgehen ihm nicht. „Da, ein Radfahrer.“ Der fährt, und zwar viel zu schnell, erkennt Aufseher Maleki. Bestimmt tritt er dem heranrollenden, bezopften Mittdreißiger entgegen: „Entschuldigen Sie bitte.“ Malekis Stimme klingt besänftigend, er spricht sehr leise.

Irritiert hat der Radfahrer auf dem Weg der Neuköllner Hasenheide tatsächlich gestoppt und betrachtet Malekis uniformartigen Anzug: graue Hose, blaues Jackett, bordeauxrote Krawatte, das Plastikschild am Revers. Zivilstreife, Wachschutz? Bevor der Angehaltene zu einem eindeutigen Ergebnis kommt, wird ihm erklärt: Hier dürfe er nicht radeln, er möge bitte schieben, das gefährde dann auch die Mitbürger nicht.

Nethanja Rahnama Maleki, der 25jährige Exil-Iraner mit deutschem Paß, war bis vor kurzem arbeitslos. Jetzt geht er täglich mit einem oder zwei KollegInnen Streife durch die Hasenheide – als „Green-Cop“ oder auch „Parkbetreuer“, wie es im Jargon des verantwortlichen Privatvereins „Berlin macht mit e.V.“ heißt. Die 15 KollegInnen nennen den freundlichen Maleki nur „Doc“, denn in den Zeiten seiner erfolglosen Selbständigkeit wollte er als Tiertherapeut ungezogene Haustiere mit sanfter Hand auf den Pfad der Tugend zurückführen. Ähnliches versucht er nun bei den Menschen in der als Sündenpfuhl verschrieenen Hasenheide. „Wir appellieren an die Vernunft und erbitten die Einhaltung der Gesetzes zum Schutz der Grünflächen“, definiert Maleki seine Aufgabe.

Analog zu den Regeln des Vereins gibt sich der Kontrolleur höflich bis zur Penetranz. „Ich habe mich schon bei meiner Hebamme für die Geburt bedankt“, karikiert er sein Verhalten. Trotzdem nervt die Maßregelei viele der angehaltenen RadfahrerInnen, die auf ihr Gewohnheitsrecht pochen: „Ich fahre hier seit 20 Jahren lang“, meint einer. Zu heftigen Pöbeleien kommt es aber nur selten. Die meisten Auffälligen schleichen, von der offiziellen Erscheinung zum Gehorsam verleitet, beklommen davon – obwohl die Green-Cops gar nicht das polizeiliche Recht auf Anweisungen und deren Durchsetzung haben, sondern nur auf die vermeintliche Mißachtung der Ordnung hinweisen dürfen.

Auf ihrer dreistündigen Patrouille kommen Maleki, der 27jährige Hakan Içme und Ex- Dachdecker Karl-Heinz Friese (48) an einer unbepflanzten Blumenschale vorbei, aus deren Tiefe ein paar verkohlte Äste ragen. Hier mußte Hakan Içme vor kurzem mehrmals einen Zündler zur Ordnung rufen. Feuer ist denn auch ein heikles Thema, das den Ärger hochkochen läßt. Denn das Grillen, seit 1997 gesetzlich verboten, wollen sich viele Erholungssuchende nicht nehmen lassen. Maleki erinnert sich an eine Szene, bei der man sich schreiend, die Fäuste schon geballt, gegenüberstand. In seiner Not rief er von seinem privaten Handy den polizeilichen Notruf 110 – und erntete ein Lachen ob des nichtigen Anlasses.

Das Projekt in der Hasenheide liegt am neuartigen Schnittpunkt zweier gesellschaftlicher Konfliktlinien: Sicherheit und Arbeit. Seit kurzem werden Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose in Uniformen gesteckt, um als niedrigschwelliger Sicherheitsdienst die öffentliche Ordnung aufrechterzuhalten oder wiederherzustellen, die vor allem konservative PolitikerInnen hochgradig gefährdet wähnen.

Die durch vermeintliche oder tatsächliche Zunahme bestimmter Arten der Kriminalität, verschärfte soziale Polarisierung und politische Panikmache geschürten Bedrohungsängste in der Bevölkerung konzentrieren sich dabei auf eng umrissende Orte: Im Wedding mahnen sie HundebesitzerInnen, ihre Vierbeiner doch an die Leine zu nehmen, und in Grünanlagen Tempelhofs stellen sie umgekippte Mülleimer wieder auf. Die Fraktionen von CDU und SPD im Abgeordnetenhaus fordern, vom regulären Arbeitsmarkt Ausgesonderte zukünftig auch in den Zügen der BVG und S-Bahn patrouillieren zu lassen, um dort den „Vandalismus“ zu bekämpfen.

Der Chef des gemeinützigen Vereins „Berlin macht mit“ ist ein 65jähriger Ex-Polizist des Neuköllner Abschnitts 55: Otto Freitag. Grauhaarig und straff, stand er früher für Experimentierfreude im Polizeiapparat. So baute er 1969 die Einsatzgruppe für Erprobung und Sonderaufgaben (Egreus) mit auf: ein Trupp Polizisten, die mit Marx-Kenntnissen, aber ohne Helm und Pistole Demonstrationen durch Diskussionen spalten sollten. Auch bei den Green-Cops geht es um Irritation durch Präsenz. „Wir produzieren Sicherheit“, sagt Freitag, „einfach dadurch, daß wir da sind.“

Sicherheit für wen? Maleki und seine KollegInnen, darunter nur drei Frauen, werden nicht müde, darauf hinzuweisen, daß vor allem ältere Damen ihre Dankbarkeit ob der institutionalisierten Nachbarschaftshilfe bezeugten. Während Inspirator Freitag seinen unter dem Bürotisch liegenden Hund krault, liefert er den analytischen Unterbau: Die NutzerInnen der Hasenheide spiegelten nicht mehr den „gesellschaftlichen Querschnitt“ der Bevölkerung. Die moralische Mehrheit mittleren und fortgeschrittenen Alters traue sich kaum noch in den Park. Und genau in diesen Schichten will Freitag durch organisierte Zivilcourage wieder Mut zur Rückeroberung verlorenen Terrains sähen.

Ein paar Wegbiegungen hinter der ausgebrannten Blumenschale beginnt das Revier, in dem jeder Schwarze oder Araber für einen potentiellen Dealer gehalten wird. Auf einer Banklehne sitzen Jugendliche mit bunten Wollmützen. Sie grinsen amüsiert, als Maleki mit seinen Kollegen vorüberschreitet, und einer ruft: „Wir machen nichts.“ Gequält lächelt die Patrouille zurück, Hakan ärgert die „Unverschämheit“. „Wir können gegen die Dealer nichts ausrichten“, sagt Maleki, „selbst die Polizei schafft es ja nicht.“

Die unausgesprochene Logik der angestrebten Hegemonie lautet zwar: Durch soziale Kontrolle erhöht sich die Oma-Dichte, während die Konzentration von ungewaschenem Gesindel sinkt. Daß diese Gleichung aufgeht, ist zur Zeit jedoch nicht zu erwarten. Auch Vereinsvorstand Freitag mag nicht recht daran glauben.

Während Hakan Içme einen umgeworfenen Mülleimer aufrichtet und zwei im Gebüsch abgestellte Autobatterien, Überbleibsel des Maifestes, entdeckt, macht er sich Gedanken über seine persönliche Zukunft. Nachdem er seine Ausbildung bei der Polizei abgebrochen hatte, weil er, wie er sagt, nicht als Zivilfahnder im türkischen Milieu arbeiten wollte, bezog er wie seine Kollegen Sozialhilfe und wird nun für ein Jahr vom Sozialamt im Rahmen des Programms „Hilfe zur Arbeit“ mit 2.737 Mark brutto monatlich finanziert. Und danach? „Ich würde gerne beim Wachschutz arbeiten“, meint der Türke mit deutschem Paß. Eben diesen Weg plant Otto Freitag seinen MitarbeiterInnen zu eröffnen, wobei hilfreich sein könnte, daß im Vorstand des Vereins der Inhaber einer Wachschutzfirma sitzt: staatliche Arbeitsförderung als Brücke in die boomende Branche der Sicherheitsdienste.

Diese Perspektiven freilich liegen gegenwärtig noch ebenso in nebeliger Ferne wie die Arbeitsbedingungen im argen. Als es zu regnen beginnt, ziehen sich die BotschafterInnen der Ordnung schnell unter das Dach der Hasenschänke zurück – Regenanoraks konnte der klamme Verein bisher nicht beschaffen. Die Streifen sollen auch bald mit Funkgeräten ausgestattet werden, damit man auf private Handys verzichten kann und trotzdem nicht zur Telefonzelle laufen muß. „Mit den Geräten ist es aber so wie mit dem Jüngsten Tag“, meint Maleki, „sie kommen – fragt sich nur, wann.“

Ungeklärt erscheint bislang auch die Zusammenarbeit mit der Polizei. Als die Patrouille mit einem Radfahrer verhandelt, kommt ein Streifenwagen dazu. „Wer sind Sie denn?“ fragen die Beamten, die von ihren neuen KollegInnen noch nichts gehört haben. Andererseits hegt die Polizeiführung hochtrabende Pläne, die Vereinsgründer Freitag gar nicht schmecken. Der Sicherheitsapparat würde gerne Informationen über das Treiben im Park abschöpfen und die Green-Cops als Aushilfskräfte für die reguläre Polizeiarbeit einsetzen. „Das mache ich nicht mit“, wehrt sich Freitag jedoch. Dabei denkt er vor allem an die Sicherheit seiner Leute, wenn sie wieder einmal alleine im Park unterwegs sind.

Gegen Ende der Streife, beim Verlassen des Parks, betrachten die Ordnungshüter noch einmal eingehend die große Tafel mit dem Verhaltenskodex für die BesucherInnen. RadfahrerInnen sollten „Schrittgeschwindigkeit einhalten“, ist dort zu lesen. Also müssen sie doch nicht absteigen? „Da haben wir wieder etwas dazugelernt“, meint einer. Die Rechtsschulung hatte bislang auch nur einen Tag in Anspruch genommen.

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