Der Nicker-Index Von Joachim Frisch

Neulich standen der Herr Böhm und ich im Le Fonque herum, einem angesagten Herumsteherclub im Hamburger Schanzenviertel, wo schwarze Diskjockeys schwarze Schallplatten mit richtiger Soulmusik auflegen und es streng nach THC-haltigen Rauchwaren aus dem vorderen Orient riecht. Weil die Luft schwer und es Zeit für einen Standortwechsel war, erörterten wir Alternativen, die, weil auch unsere Beine schwer waren, in weniger als fünf Minuten zu Fuß zu erreichen sein sollten. Ich schlug das Fritz Bauch vor, doch der Herr Böhm rümpfte die Nase und gab zu bedenken, es handele sich bei dem Fritz Bauch um eine Nickerkneipe.

In der typischen Nickerkneipe, so dozierte Herr Böhm nun, säßen sich Männer und Frauen an kleinen Tischen im Kerzenschein gegenüber, die Frauen beugten sich ein wenig zu den Männern und redeten, während die Männer sich weit zu den Frauen hinüberlehnten und in kurzen Abständen verständnisvoll und eifrig nickten. Wer noch nie in einer Nickerkneipe war, der stelle sich vor, in einer gemütlichen, legeren Kneipe, in der es mehr nach Tee und Cappuccino als nach Bier duftet, säßen an 22 Tischen 22 Klone des Fernsehtalkmasters Roger Willemsen, 22 Schauspielerinnen gegenüber. Vor sich hätte jeder Willemsenklon jeweils ein Achtelliterglas Rotwein, an dem er in den Nickpausen kurz und unauffällig nippen würde.

In der echten Nickerkneipe sind die Frauen allerdings nicht so schön wie die Schauspielerinnen bei dem Willemsen-Original im Fernseher. Deshalb sind die Frauen aus der Nickerkneipe auch nicht Schauspielerinnen geworden, sondern Studentinnen.

Im Laufe unserer Erwägungen beschlossen wir, zunächst für das Lokal Fritz Bauch, später für alle einschlägigen Nickerlokale einen Nicker-Index zu erstellen, eine spätere Veröffentlichung ins inzwischen rotgeränderte Auge gefaßt. Ein Nicker-Index von 142 würde zum Beispiel bedeuten, daß der durchschnittliche männliche Besucher dieser Kneipe durchschnittlich 142mal pro Stunde seiner Tischnachbarin verständnisvoll zunickt.

Nicht zu verwechseln sei der Nicker-Index mit dem Nikkei-Index, den Radiosprecher immer Nicker-Index aussprechen, und zwar in voller Absicht, weil sie Scherzkekse sind. Manche Moderatoren, vor allem im südwestdeutschen Raum, sagen sogar Nigger- Index. Sie wollen vielleicht Nikkei- Index oder Nicker-Index sagen, es hört sich aber an wie Nigger-Index, weil des Pfälzers und des Südhessen Gaumen für die korrekte Aussprache harter Konsonanten nicht ausreichend ausgebildet ist.

Auch deshalb war es an der Zeit, das Le Fonque zu verlassen, denn einige der herumstehenden Schwarzen blickten bereits irritiert zu Herrn Böhm und mir herüber, mischten sich doch in die Shouts der Soulmänner aus den Hi-Fi-Boxen aus unserer Richtung Wortfetzen, die wie „Nigger“ klangen, was letztlich daran lag, daß auch mein Gaumen einst in der Pfalz geformt worden war. Fortan benutzten wir deshalb aus Höflichkeits- und Sicherheitsgründen die Hilfskonstruktion „Index der Nickenden“, was aber aus sprachästhetischen Gründen unseren Diskurs ermatten ließ.

So verschwand mit der Nicker- Index-Idee wieder mal eine gute Idee aus der Welt, noch ehe sie richtig in ihr drin war.