Gar nicht im Sinne des Profis

Nach dem rasanten, aber fehlerhaften 2:2 gegen Marokko versucht Norwegens Kjetil Rekdal die Lehren zu ziehen und will nun „Sicherheiten einzubauen“  ■ Aus Montpellier Peter Unfried

War das nicht ein wunderbares Fußballspiel für einen Auftakttag einer WM? Kjetil Rekdal ist ein höflicher Mann, und darum suchte der norwegische Fußballprofi nach Gründen, diese Einschätzung zu stützen, und fand die vielen Chancen, die vier Tore und „das Tempo, in dem der Ball nach vorne gespielt wurde“. Für die Betrachter im Stadion von Montpellier war es ein Spiel, das Hoffnung machte, weil es nachwies, daß Spannendes passieren kann. Allerdings, das ist klar, hilft es, wenn Teams aufeinandertreffen, die sich trotz gegenteiliger Beteuerung eben doch nicht in- und auswendig kennen, und sich dann mit großem Aufwand gegenseitig neutralisieren. Die Teams in Montpellier wollten immerhin beide gewinnen, waren dabei aber sehr fehleranfällig.

Zweiteres kann nicht im Sinne eines Profis sein und hatte Kjetil Rekdal beim 2:2 gegen Marokko eher leicht melancholisch gestimmt. Genauer gesagt: Die erste Hälfte des Spiels, in der die Marokkaner clever den Fehler im System der Norweger suchten, während deren lange Bälle einer nach dem anderen blind verpufften. So etwas, sagt Rekdal (29), Bundesligaprofi bei Hertha BSC, könne passieren, dürfe aber am Dienstag im nächsten Spiel gegen die Schotten nicht mehr. „Wir haben“, findet er, „starke Spieler im zentralen Mittelfeld, die den entscheidenden Paß spielen können.“ Ihn, zum Beispiel. Diese Spieler müßten „auch ab und zu mal den Ball kriegen“, sonst werde das schwer.

Egil Olsen, der Trainer, hat schon mal angekündigt, es könne möglicherweise personelle Änderungen geben, „der Stil“ werde aber „der gleiche“ bleiben. Alle Norweger sagen natürlich, sie hätten gewußt, wie stark Marokko sei. Und auch die Taktik Henri Michels, sie „in eine Falle zu locken“, sei ihnen bekannt gewesen. Die Falle sah so aus, daß Marokko getreu Olsens Devise, daß die meisten WM-Tore nach wenigen Spielzügen fallen, gegen die aufgerückten Norweger den langen Paß spielte und traf. Rekdal hatte beim 0:1 mitgezählt. „Mit zwei Pässen waren die vor unserem Tor“, brummte er. Danach verlagerte er seinen Aufenthaltsort nach hinten, um Raum zu füllen. Künftig, fordert er, müssen rechtzeitig „Sicherungen eingebaut werden“. Weil es noch mal gutging, ziehen die Norweger Optimismus aus der Tatsache, daß sie zweimal einen Rückstand aufholten und bei beiden Toren ihre Stärke ausspielten (Kopfbälle nach einem ruhenden Ball).

Die Marokkaner sind zufrieden, weil sie nach den drei Niederlagen von 1994 nun schon einen Punkt haben und ihren 13. Platz im Fifa- Ranking bestätigt sehen. Was Michels Falle betrifft: Der eingewechselte Rachid Azzouzi, Zweitligaprofi bei Greuther Fürth, hatte bei der Mannschaftsbesprechung zugehört, aber dabei nichts von einer Falle erfahren. Vielleicht sei es „dem Trainer ja während des Spiels eingefallen“. Und Rekdal sagte, sie hätten ja gewußt um das marokkanische Prinzip der Befreiung aus des Gegners Klauen mittels rasantem Kurzpaßspiel und der völligen Veränderung de Spielsituation durch den langen Ball.

Gewußt vielleicht ja, es nutzte nur nichts. Insbesondere das 1:0 von Mustapha Hadji entblößte die Verwundbarkeit der Viererkette. Die ist physisch, den Gegner einschüchternd und in der Luft kaum zu hintergehen – aber der beidfüßige Kreativspieler Hadji streichelte den Ball einfach vom linken auf den rechten Fuß, vorbei am staksigen Eggen und jagte ihn dann ins lange Eck. Hadji (26) von Sporting Lissabon ist ein „überragender Offensivspieler“, wie ihm Kollege Azzouzi völlig berechtigt bescheinigt. Er ist der Mann, der aus der Disziplin ausbrechen darf, der häufig rechts draußen sein eigenes Spiel suchte – und sechzig Minuten lang fand. Am Ende stand gegen seine Stärke die extreme Kopfballschwäche der Marokkaner und ihr äußerst fehlerhaft spielender Torhüter Benzekri. Benzekri sei „noch zu unerfahren“, sagte Michel. Azzouzi kennt aber keinen besseren und findet, man habe möglicherweise „ein kleines Torwartproblem“.

Eher ein großes. Nur deshalb setzte sich am Ende die schiere norwegische Kraft durch, was Rekdal aber wieder folgerichtig und wegweisend für den weiteren Turnierverlauf finden wollte. Marokko war gut, ja, sagt er, „aber wir haben das Gefühl, wir können noch viel besser“. Wie das gehen soll? „Wir müssen zwar schnell spielen“, sagt Rekdal, „aber auch mal in die Beine des Mitspielers.“ Wenn es gelingt, könnte es wunderbar werden.

Norwegen: Grodas – Berg, Eggen, Johnsen, Björnebye – Havard Flo (72. Solbakken), Leonhardsen, Rekdal, Mykland, Solskjaer (46. Riseth) – Tore Andre Flo

Zuschauer: 35.000 (ausverkauft)

Tore: 1:0 El Hadji (38.), 1:1 Chippo (45./Eigentor), 2:1 Hadda (59.), 2:2 Eggen (61.)

Marokko: Benzekri – Rossi, Naybet, El Hadrioui – Saber, Chiba, Khalej (90. Azzouzi), El Hadji, Chippo (78. Amzine) – Hadda (87. El Khattabi), Bassir