Stoiber paßt sich an

■ Schon seit neun Jahren gibt es de facto ein Moratorium gegen den Bau neuer AKWs

Ein faktisches Moratorium für neue Atomkraftwerke gibt es in der Bundesrepublik schon beinahe ein Jahrzehnt – gestern hat sich dem auch der bisherige Atom- Hardliner, Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, angeschlossen. Denn faktisch wurde schon seit 1989 kein neues AKW gebaut – damals ging das jüngste der insgesamt 19 bundesdeutschen Atomkraftwerke, Neckarwestheim II, in Betrieb. An den Bau neuer Reaktoren sei aus Kostengründen nicht zu denken, hört man von Energieversorgern wie der in Hannover ansässigen PreussenElektra schon seit Jahren. Sie geben zwei Gründe an: fehlende Akzeptanzprobleme und neuerdings auch die billigere Konkurrenz der Gaskraftwerke.

Allerdings gab es bisher in Sachen Atomkraft bei Energieversorgern wie bei Landesregierungen immer noch ein Nord-Süd-Gefälle. Die großen norddeutschen Energieversorger, RWE und PreussenElektra, unterstützten in vergangenen fünf Jahren durchaus die Vorstöße des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder für einen Energiekonsens und wollten die Atomstromproduktion immerhin auslaufen lassen. Von der bayrischen Staatsregierung und den in München ansässigen Bayernwerken allerdings wurde zumindest in der Öffentlichkeit die Fahne der Atomkraft weiter hochgehalten.

Die bayrische Staatsregierung wollte unbedingt einen mit hochangereichertem Uran betriebenen Forschungsreaktor nahe München. Der dort ansässige Siemens- Konzern entwickelt seit Jahren gemeinsam mit der französischen Frameatom jenen Europäischen Druckwasserreaktor (EPR), der zumindest nach dem Willen von Bundesumweltministerin Angela Merkel die deutschen Atomkraftwerke einmal ersetzen soll. An eben diesem angeblich sicheren „Fadenrißvermeidungsreaktor“ scheiterten vor vier Jahren die Energiekonsensgespräche. Die SPD verbot es ihrem Verhandlungsführer Gerhard Schröder schließlich, die Option auf den Bau des neuen Reaktortyps offenzuhalten.

Mit der gestrigen Ankündigung Stoibers, alle fünf im Standortsicherungsplan vorgesehenen AKW-Standorte zu streichen, kann man nun sicher sein, daß der neue Reaktortyp zumindest für Deutschland ein Projekt auf dem Papier bleiben wird. Allerdings war aus Niedersachsens Staatskanzlei schon in den Jahren der Energiekonsensverhandlungen stets zu hören gewesen, daß den neuen Reaktor eigentlich niemand bauen wolle, obwohl Bayern bereits Standorte für den EPR reserviert hatte.

Der Satz Edmund Stoibers, „Bayern schließt definitiv den Bau neuer AKWs aus“, bestätigt nun öffentlich, was lange gemutmaßt worden war. Das völlige Aus für den neuen Druckwasserreaktor bedeutet dies allerdings nicht. Seit der letzten Änderung des Atomgesetzes kann das Bundesamt für Strahlenschutz dem neuen Reaktortyp auch durch ein sogenanntes standortunabhängiges Prüfverfahren, durch eine Prüfung der Konzepte auf dem Papier, das für den Export notwendige deutsche Gütesiegel geben. Bei den Bayernwerken ging man bisher davon aus, daß das Prüfverfahren beim Bundesamt für Strahlenschutz zum Jahreswechsel in die Wege geleitet werden kann. Das verzögerte sich jedoch, weil die Ingenieure derzeit versuchen, die neue Reaktorentwicklung nun nachträglich zumindest annähernd konkurrenzfähig zu machen gegenüber der Stromproduktion aus Gaskraftwerken. Jürgen Voges