Erlösung von Berufsdeutschen durch Frankreichs Sieg über Kroatien Von Wiglaf Droste

Hart ist die Fußball-WM und fordert ihre Opfer; mancher trägt sogar innen am Kopf Verletzungen davon: „Die lächerlichste Lebenslüge miefiger Linkshaber“, decouvrierte der freie Journalist Manfred Kriener am 20. Juni in dieser Zeitung, sei es, „sich für einen besseren Menschen zu halten, nur weil man Deutschland Scheiße findet.“ Als ich das las, wunderte ich mich etwas: Gibt es überhaupt noch eine nennenswerte Zahl von Deutschen, die prinzipielle Einwände gegen Deutschland hegen (um es weniger anal zu formulieren als der freie Journalist)? Und wenn ja – halten die sich dann für bessere Menschen? Ist das wahr?

Oder ist es nicht vielmehr so, daß selbst in den Kneipen, in denen der Verkauf von Bier jahrelang im Rang einer politischen Aktivität stand, mittlerweile für Deutschland gejohlt wird, wenn ein Fußballspiel übertragen wird? Zumindest beim Fußball fühlen die paar Linksautonomen, die es überhaupt noch gibt, längst genuin mit ihrem Volk: Sie fühlen deutsch. Und müssen trotzdem noch als Pappkameraden herhalten. Denn das ist das Problem von Deutschen wie Kriener: Wenn nicht wenigstens 99 von 100 unter ihrer Fahne strammstehen, fühlen und gerieren sie sich als bedrohte Minderheit.

Mehr als alles andere braucht der autoritär fixierte Berufsdeutsche den Feind; ist keiner da, halluziniert er sich ihn herbei und drischt mutig auf ihn ein. Erklärt man solchen verwirrten Existenzen dann einmal rundheraus, daß man mit ihnen und ihrem völkischen Kollektiv nichts zu tun haben möchte, werden sie richtig kiebig und gehen seltsame Koalitionen ein; den Vorwurf des „antideutschen Rassismus“ – auch so eine Halluzination – konnte man sich identisch vom Hitleristen Rainer Zitelmann in der Welt wie von der altliberalen Edelfeder Herbert Riehl-Heyse in der Süddeutschen machen lassen. Krieners erfundene „Lebenslüge“ meint dasselbe: Deutscher, steh zu deinem Haufen! (Aber warum man das eigentlich tun soll, das sagen sie einem nie.)

Anlaß bzw. Vorwand für Krieners Text war Fußball – und da bedurfte es keiner Skepsis gegenüber den Landsleuten, um das Spiel der deutschen Mannschaft nicht zu mögen. Es fehlte alles, was man will und braucht, Inspiration, Auge und Herz, Genialität, etwas Mitreißendes eben, und bei aller Abneigung gegen das wohlfeige Vogts- Bashing: Spätestens als der Mann erzählte, die deutsche Mannschaft habe das Weiterkommen verdient, weil sie sich so gequält habe, war ihm nicht mehr zu helfen. Soviel verkorkster Protestantismus ist auch mit schlimmer Kindheit nicht mehr zu entschuldigen.

Daß die deutsche Mannschaft ausgerechnet von der kroatischen aus dem Turnier geworfen wurde, war nicht angenehm; die Kroaten waren so etwas wie der 1. FC Kaiserslautern der WM, und Spieler, die mit dem Ustascha-Gruß die Nationalhymne singen, sind ein widerlicher Anblick. Weshalb der Sieg der französischen Mannschaft über die kroatische im Halbifinale doppelt erlösend war, zumal im französischen Restaurant Ty Breizh, wo der Wirt auf den Tisch sprang, die Marseillaise sang und, indem er blank zog und seinen Hintern entblößte, ein so ambivalentes und komplexes Verhältnis zu seiner Nation zeigte, von dem die Berufsdeutschen aller Fraktionen nur träumen können.