Ein Forum dem Schabrackentapir

Jeder Mensch sei ein Wissenschaftler, behauptet der Wissenschaftsakademiedirektor – und seine Wissensanstalt in der Torstraße feiert ihr einjähriges Bestehen  ■ Von Tim Bartels

„Die Studienzeiten an den Universitäten sind viel zu lang. Das ist ein Mißstand, den ich bekämpfen möchte“, verkündet Rafael Horzon (27). Er hat vor einem Jahr in einem ehemaligen Tapetenladen in Mitte die „Wissenschaftsakademie Berlin“ gegründet. Sein Konzept gegen die Universitätsmisere: Keine Studiengebühren und kostenlose Vorträge mit der Möglichkeit zum Scheinerwerb.

In der Berliner Kunstszene ist der Autor von Abenteuerromanen kein Unbekannter: Vor zwei Jahren gründete Horzon die Galerie Berlintokyo und kuratierte vor allem japanische Künstler. Als Fiktion allerdings, denn die Bilder machte er selbst, und den vermeintlichen Künstlern aus Fernost bastelte er eine Scheinbiographie. Seine Galerie sollte ein kritischer Kommentar auf die Gepflogenheiten des herrschenden Kunstbetriebs sein. „Ich wollte damit beweisen, daß alles als Kunst akzeptiert wird, was in einer Galerie ausgestellt wird“, sagt Horzon. Tatsächlich sei die erste Ausstellung von „Massahiro Sukimoto“ auch gleich ein großer Erfolg gewesen. Damit hatte der gebürtige Hamburger dem Kunstbetrieb ein Kuckucksei ins Nest gelegt und wandte sich schließlich gelangweilt ab. Nicht zuletzt, weil mit dem Erfolg die Galerie „in die gängige Kunstschiene geraten war“.

Mit der Kehrtwendung zur Naturwissenschaft erfüllt sich Horzon nun seine Sehnsucht nach „Verläßlichkeit und Beweisbarkeit“, die es in der Kunst nicht gäbe. „Da geht es meist um Gefühle, und die sind nun mal nicht beweisbar.“ Die Gründung der Wissenschaftsakademie versteht er somit auch als Fortsetzung seiner Kunstkritik. In regelmäßigen Abständen bietet Horzon zu einem wissenschaftlichen Thema ein Diskussionsforum an. Ob es da um die Landemissionen auf dem Mars, Schwarze Löcher im All, die faszinierende Welt der Fische oder um den vom Aussterben bedrohten Schabrackentapir geht, hängt vom Interesse der Studierenden ab.

Nach der Vorlesung kommt der Test

Denn Horzons Motto lautet: Jeder Mensch ist ein Wissenschaftler. Wer sich mit einem populären Themenkomplex eingehender beschäftigt hat, kann hier sein Wissen loswerden und einen Diavortrag halten. Die Trennung von Lehrenden und Lernenden wolle er damit abbauen. Das Auditorium bestätigt unmittelbar nach der Vorlesung in einem Multiple-choice- Test sein Verständnis und erhält bei ausreichender Punktzahl einen Leistungsnachweis. Nach zwei Scheinen erlangt man, so Horzon, automatisch das Vordiplom, mit vier Leistungsnachweisen dann das große Diplom seiner Wissenschaftsakademie.

Dem Publikum mangelt es am nötigen Ernst

Die Scheine, wünscht sich Horzon, sollten an allen Universitäten übertragbar sein. Die verweigern ihm aber bislang noch jegliche Akzeptanz. Der ehemalige Physikstudent hat den drei hiesigen Unis sein Konzept unterbreitet und eine enge Zusammenarbeit vorgeschlagen. Ergebnis: Ablehnung und Ignoranz. Das sei vermutlich ein Schock gewesen für die Unis, so mir nichts dir nichts ein Fusionsangebot zu bekommen, meint Horzon. „Vielleicht muß ich mich da erst mal persönlich vorstellen und meine Idee genauer erläutern.“

Zumindest bei den Studierenden trifft Horzons Wissenschaftsakademie schon auf zunehmende Resonanz. Zum Vortrag über Explosionsstoffe kamen etwa 200 Interessierte, sprengten den räumlichen Rahmen seiner 50 Quadratmeter Privatuniversität – und ließen an Ernsthaftigkeit noch etwas zu wünschen übrig. „Die meisten glauben immer noch, das sei ein Kunstgag oder ähnliches.“ Doch Wissensanstaltsdirektor Horzon ist um die Zukunft nicht bange: „Das ist schließlich kein Quatsch, was hier passiert.“