Wer rechts denkt, wählt SPD und CDU

■ Neue Studie zu Wahlverhalten und Einstellungen Rechtsextremer ergibt hohe Werte für etablierte Parteien. Junge neigen zu den Rechten

Berlin (taz) – Bürger mit einem rechtsextremen Weltbild müssen nicht notwendigerweise rechtsextreme Parteien wählen. Das ist das Ergebnis einer im Mai und Juni durchgeführten Umfrage der Deutschen Paul Lazarsfeld-Gesellschaft und des Otto-Stammer- Zentrums der Freien Universität (FU) in Berlin. Demnach würden 30 Prozent im Westen und 29 Prozent im Osten zur Bundestagswahl ihr Kreuz bei der SPD machen, bei der CDU 22 Prozent im Westen und 17 Prozent im Osten. Nur insgesamt sechs Prozent bekannten sich zu Reps, NPD oder DVU, ein Drittel gaben keine Antwort beziehungsweise sind unschlüssig.

Die gestern in Berlin vorgestellte Studie scheint zu bestätigen, was sich nach der Wahl in Sachsen- Anhalt abzeichnete: Die Mehrheit der Wähler rechtsextremer Parteien, nämlich zwei Drittel, haben kein geschlossenes rechtsextremes Weltbild. Vielmehr ergibt sich eine bunte Mischung. Menschen, die politikverdrossen sind, und solche, die das hiesige System gänzlich ablehnen, finden sich ebenso darunter wie ein kleinerer Teil, der positiv zu demokratischen Grundregeln steht. In Ost und West können die rechtsextremen Parteien aus einem Wählerpontential von rund zehn Prozent schöpfen. Hoch ist ihre Attraktivität bei den Jungen: 22 Prozent der 18- bis 24jährigen im Osten und 11 Prozent im Westen wollen rechtsextrem wählen. Dies sind vor allem Arbeiter und Angstellte. Ein „interessantes, noch näher zu erforschendes Phänomen“, so der FU-Forscher Oskar Niedermayer, bilden die Selbständigen im Osten. 16 Prozent (gegenüber 10 im Westen) gehören zur rechten Wählergruppe.

Unabhängig vom Wahlverhalten wurden auch rechtsextreme Einstellungen unter 3.764 Bürgern ab 14 Jahren befragt. Auf einer Skala von 1 (stimmt überhaupt nicht) bis sieben (stimmt völlig) wurde ihnen ein Katalog von sechs Sätzen vorgelegt. Etwa unter der Rubrik „pronazistische Einstellung“ die Feststellung: „Ohne Juden würde man Hitler heute als großen Staatsmann ansehen.“ Problematischer hingegen war die Frage nach nationalistischen Einstellungen. „Deutschland sollte wieder eine führende Rolle in der Welt einnehmen.“ Dies, so die Kritik auf der Pressekonferenz, sei mehrdeutig. FU-Forscher Richard Stöss rechtfertigte sich: Ein Liberaler, der ein größeres Gewicht in der EU wünsche, würde sicherlich die niedrigsten Skalawerte wählen.

Bei teilweise methodischen Schwächen ist die Umfrage dennoch erhellend: 13 Prozent der Bevölkerung verfügen über ein rechtsextremes Weltbild. Spitzenreiter ist Brandenburg mit 19, Schlußlicht das Saarland mit 4 Prozent.

Aufschlußreich sind auch die Daten zur Politikverdrossenheit (Bürger, die mit den Grundlagen, aber nicht mit der Funktionsweise der Demokratie unzufrieden sind) und zur Systemverdrossenheit (Unzufriedenheit mit der Verfassung an sich): Zusammengerechnet 61 Prozent der Wahlberechtigten stimmten einer der beiden Thesen zu – im Osten gar 72 Prozent. Severin Weiland

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