Sein Marktschrei: „Tickets, Tickets“

■ Der Kanadier Kingsley Bailey verbringt seinen Urlaub in Frankreich und füllt sich mit dem Schwarzhandel von WM-Karten die Reisekasse

Paris (taz) – In Amerika wird er abschätzig „Scalper“ genannt, frei übersetzt: Halsabschneider. Die deutsche, etwas freundlichere Bezeichnung lautet Schwarzmarkthändler. Dem gebürtigen Jamaikaner Kingsley Bailey gefallen beide Begriffe nicht. Er sieht sich eher als eine Art legalen Hehler. Seine Ware: Eintrittskarten. Sein Markt: Sportereignisse, zur Zeit die Fußball-WM in Frankreich. Sein Marktschrei: „Tickets, Tickets, Tickets“. Die restriktive Kartenpolitik des WM-Organisationskomitees ist Baileys Glück. Durch den Verkauf der begehrten Eintrittskarten finanziert sich der in Vancouver lebende Kanadier seinen ersten Aufenthalt in Europa.

Die Fußball-WM 1994 in den USA hat dem 36jährigen Kingsley Bailey die Augen für Soccer, wie der Kick in Ländern genannt wird, in denen der Ball vorzugsweise getragen statt geschossen wird, geöffnet. Dort erlebte er die Fußballbegeisterung bei Begegnungen von Einwandererländern wie Italien und Irland oder Italien und Mexiko. Als nebenberuflicher Kartenhändler arbeitet Bailey aber schon seit seiner Kindheit. Damals gaben ihm Eishockeyspieler neben Autogrammen Freikarten. Diese verkaufte er zur Aufbesserung seines Taschengelds, als 12jähriger bis zu 60 Karten pro Spiel. „Ein lukratives Geschäft“ nennt er sein Business, in das er nach einer Geschäftspause während seines Sportmarketing-Studiums an der Universität von Indianapolis wieder einstieg.

Bailey steht dabei nicht nur vor den Sportarenen, sondern hat sich über Jahre eine umfangreiche Datenbank mit Freunden, Bekannten, Firmen und Sponsoren aufgebaut. Erhält er eine Anfrage oder findet in seiner Bibel, dem Sports Illustrated Almanac, eine interessante Sportveranstaltung, beginnt die Arbeit. Dabei hat er in Zeiten von Internet und E-Mail weltweit Kunden. Klappt der Deal, streicht er wie ein Makler eine Courtage als Vermittler ein. „Jeder gewinnt, es ist ein guter Handel, und alle drei sind zufrieden“, rechtfertigt er sein einträgliches Treiben. Baileys Geschäftsgrundsätze sind die drei großen A: Ability, Accountability, Availability. Geschäftssinn, Vertrauenswürdigkeit und Zugang zum Produkt. Die Arbeit besteht darin, für den Kartenverkäufer einen guten und für den Kartenkäufer einen akzeptablen Preis herauszuhandeln. Bailey findet heraus, was die Konkurrenz für Karten verlangt, dann setzt er seinen Preis fest. Handeln gehört zwar zum Geschäft, aber er weiß auch, daß die meisten Kunden schon den Einstiegspreis bezahlen können. „Wenn die Leute bezahlen wollen, bezahlen sie, wenn nicht, gehen sie weg.“

Der Schwarzmarkthändler denkt bei seinen Geschäften aber auch an morgen und weiß, daß nur zufriedene Kunden wiederkommen. Deshalb hat er immer eine Stadion- oder Hallenkarte in der Tasche und kann dem Kunden genau zeigen, für welchen Platz die angebotene Karte gilt. So unterscheidet er sich von den schwarzen Schafen der Branche, die mit gefälschten Tickets handeln.

Bei den vielen Geschäften, die er im Laufe der Jahre abgewickelt hat, gibt es auch ganz besondere Deals. Karten für das WM-Finale in Paris werden derzeit mit etwa 3.000 Mark gehandelt, aber beim größten Sportereignis in den USA, der Super Bowl, verkaufte Bailey auch schon mal Karten in bester Mittellinien-Lage für 5.000 Dollar pro Stück. Ähnliche Preise erzielte er bei den Olympischen Spielen in Calgary 1988. Sportbegeisterte (oder eher sportverrückte) Amerikaner zahlten für 20 Eintrittskarten zum Einkunstlauffinale der Frauen insgesamt 15.000 Dollar.

Natürlich ist der Kapitalist in Reinkultur nie vor plötzlichen Kurseinbrüchen gefeit. Sein größter Flop war eine angekündigte Rückkehr von Magic Johnson in den Profibasketball. Diese wurde kurzfristig wegen einer Verletzung abgesagt, und der Händler blieb auf einem Bündel Tickets sitzen. Baisse auf dem Kartenmarkt.

Das Geschäft, so behauptet Kingsley Bailey, der in Vancouver hauptberuflich Kickerautomaten in Kneipen aufstellt, ist aber keineswegs alles für ihn. „Es geht nicht nur ums Geld, sondern auch darum, Spaß zu haben.“ Den hat er live, wenn er zum Beispiel einen Meter hinter der Bank von Michael Jordan und dessen Chicago Bulls sitzt. Ist das Geschäft gelaufen, schaut sich der Sportfan die Spiele natürlich an. Thorsten Schabelon