AKW nee! Bayern stoppt Atompläne

■ Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) lehnt überraschend den Bau weiterer Atommeiler in Bayern ab. AKW-Betreiber sieht trotzdem keine Wende in der Energiepolitik. SPD und Grüne begrüßen Stoibers Ankündigung

München/Bonn (taz) – Für Planungssicherheit hat der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) im Hinblick auf die Atomindustrie gesorgt. Der bisher als glühender Verfechter der Atomenergie bekannte Politiker verkündete bei einer Bezirksversammlung der Jungen Union in Rosenheim völlig überraschend, in Bayern würde definitiv kein neues Atomkraftwerk mehr gebaut. Und er merkte an, daß man sicherlich auch keines brauchen werde. Die Bayerische Staatskanzlei hat gestern die Stoiber-Äußerungen bestätigt. Stoiber stehe zu seinen Aussagen, erklärte Sprecher Helmut Schütz. Das Thema sei am kommenden Dienstag für die Kabinettssitzung vorgesehen. Stoibers Äußerungen fielen schon am vergangenen Samstag, wurden aber erst gestern bekannt.

Der sogenannte Standortsicherungsplan für Wärmekraftwerke sieht unter der Rubrik Kernenergie noch fünf Standorte für mögliche neue Atommeiler in Bayern vor. Im unterfränkischen Grafenrheinfeld ist ein neuer Block vorgesehen, im oberfränkischen Viereth sind es gar zwei Blöcke, ebenso in Pfaffenhofen, in unmittelbarer Nähe des schwäbischen Atomkraftwerkes Gundremmingen sowie in Pleinting in Niederbayern (zwei Blöcke) und in Marienberg bei Rosenheim (ebenfalls zwei Blöcke).

Ministerpräsident Stoiber hat offenbar erkannt, daß schlicht zuviel Strom produziert wird. In Bayern müssen an Niederverbrauchstagen wie beispielsweise dem Pfingstmontag selbst die Atomkraftwerke auf 60 bis 70 Prozent ihrer Leistung heruntergefahren werden. Offiziell heißt es in der Münchner Staatskanzlei, der Ministerpräsident habe darauf hingewiesen, daß sich die Energiesituation durch die Liberalisierung im EU-Markt völlig geändert habe. „Man kann heute überall billig Strom zukaufen, zum Beispiel in Frankreich“, so die Staatskanzlei. Außerdem stagniere trotz boomender Wirtschaft der Stromverbrauch, zum Teil sei der Verbrauch sogar leicht rückläufig.

Eberhard Wild, Vorstandsmitglied der Bayernwerke und zuständig für Kernkraftwerke, demonstrierte ob der neuen Linie von Ministerpräsident Stoiber Gelassenheit. „Ich sehe das nicht als eine Absage des Ministerpräsidenten an die Kernenergie“, sagte er der taz. Tatsache sei, „daß wir auf absehbare Zeit keine neuen Anlagen brauchen“. Die Versorgungslage und der Wettbewerb seien auch dem Ministerpräsidenten bekannt, so Wild. Sicher sei Stoiber auch über die verstrahlten Atomtransporte verärgert, aber damit habe seine Äußerung wohl nichts zu tun.

Der umweltpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Klaus Lippold, will an der Kernenergie schon aus „Klimaschutzgründen“ festhalten: „Wir werden auch neue Kernkraftwerke brauchen, insbesondere solche mit neuen, noch sichereren Reaktortypen“, sagte er der taz.

Atomkraftkritiker reagieren auf Stoibers überraschenden Atomausstieg erleichtert. Der energiepolitische Sprecher der SPD, Michael Müller, sagte der taz, die Haltung Stoibers würde wohl den Ausstieg aus der Kernenergie beschleunigen. Die Energieexpertin von Bündnis 90/Die Grünen, die Bundestagsabgeordnete Ursula Schönberger, erklärte, es sei auch Stoiber klargeworden, daß sich die Atomenergie nicht rechne.

„Endlich sieht die Staatsregierung ein, daß die Atomenergie keine Zukunftstechnologie ist. Hoffentlich wird jetzt Ernst gemacht mit Energiesparen und modernen Energietechniken“, meinte der einstige bayerische Grünen-Abgeordnete Raimund Kamm, der dem Verein Energiewende atomkraftfreies Schwaben e.V. vorsteht, sagte Kamm. Klaus Wittmann

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