Liebes Mamili!

Ich habe endlich meine Idee für das Setting meines nächsten Romans durchsetzen können. Nicht, dass Rowohlt meint, mir etwas sagen zu können, schließlich schreibe ich Bücher, die sich sechs Millionen Mal verkaufen, nicht diese kleinen, knuddeligen Lektoren, mit denen man um jede ausschweifende Sexszene kämpfen muss wie die Sylter um jeden Krümel Sand. Der Verleger hatte mir 75.000 Euro mehr geboten, wenn ich meine nächste Geschichte in meinem Milieu spielen lasse. Aber Mami, ich bin Eppendorf-Winterhude-Rotherbaum und auch die Elbvororte sooo leid! Es mag ja das passende Umfeld sein, um die Kinder auf den richtigen Weg zu bringen – aber schöpferisch?!? Das Spannungsfeld liegt schneller am Boden als ich beim Schlittschuhlaufen! Zumal ich ja über Scheitern und Abstieg schreiben möchte. Meine Protagonistin wird aus ihrem Milieu gekegelt (also, im Kern ist die Handlung die Übliche. Viel Push-up- und Diät-Witze, die Frau, das ewig scheiternde, selbstzweifelnde Wesen, der Mann, der sich eine Andere sucht?) und sie muss ganz unten wieder anfangen. Aber eher so Bionade-Style-ganz-unten, so „arm, aber sexy“ – sonst müsste ich meine Gefallene ja nach Billstedt ziehen lassen, was für einen Rowohlt-Roman dann doch zu asozial ist. Die Sternschanze ist da genau die richtige Umgebung! Alles ein wenig runtergekommen, Häuser, die seit Adenauer nicht renoviert wurden, lauter kreative Leute, die zu einem Witzlohn arbeiten, für den ich nicht einmal den Stift heben würde, und die ihr Gemüse beim Türken kaufen.

Die Türken sind tatsächlich sehr nett – ich war in den letzten Tagen viel im Schanzenviertel unterwegs. Die Gemüseläden sind zwar nicht so gepflegt wie die rund um die Alster, aber immerhin gibt es Flugmangos. Und, sie machen die Schanze (so heißt das Viertel unter den Insidern) menschlicher. Als ich meinen Cayenne nur mal gaaanz kurz vor der Einfahrt von so ’nem Lesbentreff abgestellt hatte, war sofort ein Reifen zerstochen. Noch bevor ich mein Phone aus meiner Kelly-Bag gefischt hatte, war Erkan schon da und hat mir den Reifen gewechselt. Ich wollte ihm 50 Euro für seine Mühe geben, aber er wollte das Geld partout nicht annehmen! (Ob es vielleicht auch daran lag, dass er meinen 200-Euro-Schein nicht wechseln konnte?) Dieses Erlebnis ist eine super Inspiration für mich. Ich habe wirklich sehr tolle Gemüsetürken kennengelernt. Sie sind wahnsinnig nett, wenn man langsam mit ihnen spricht, und sie haben mir versprochen, Ihre Kinder brav in die Schule zu schicken. Auch die Mädchen.

Ein wenig kenne ich das Viertel ja auch noch aus meinen Anfangstagen als Journalistin. Erinnerst Du Dich noch an Jürn, mit dem ich damals zusammen war? Mit dem bin ich immer zu „Noodles“ gegangen. Einen Riesenteller Pasta für 2,50 Mark! Unglaublich! Dafür bekommt man heute nicht mal eine Jacobsmuschel. Ich habe mir überlegt, ich werde diesen netten Menschen in meinem Buch ein Denkmal setzen. Ein Türke wird es sein, der meiner Heldin in einer total peinlichen Situation begegnet und ihr hilft. Obwohl sie so weit über ihm steht. Sex wird sie allerdings nicht mit ihm haben, dass wäre dann etwas sehr krass und holt meine Leserin nicht ab. Wunder Dich bitte nicht, Mumamski, wenn Du mich momentan nicht so gut erreichst. Ich bin viel für die Recherche unterwegs und muss mich aktuell doch sehr um die Kinder kümmern. Gestern ist die Adressliste von Gábors neuer Schulklasse gekommen. Ich will nachher mal die Häuser abfahren und schauen, welches Kind zu ihm passt.

So, ich muss jetzt los, Leonard zum Hockey-Yoga bringen, Kuss Mamili! Deine Illi