1,2 Milliarden Dollar Verantwortung

Die Boykottdrohungen verschiedener US-Bundesstaaten hatten Erfolg: 1,2 Milliarden Dollar kostet die Schweizer Banken die Regelung ihres Streits mit den Holocaust-Überlebenden aus aller Welt  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Die Einigung kam am Mittwoch bei 1,2 Milliarden Dollar zustande. 20 Milliarden hatten Holocaust- Überlebende von Schweizer Banken gefordert und eine entsprechende Sammelklage vor einem Brooklyner Gericht eingereicht. Die erheblich niedrigere Summe wurde gleichwohl als Erfolg gewertet, die Tausenden von Holocaust-Opfern zu später Gerechtigkeit verhilft und zugleich eine Auseinandersetzung beendet, die seit über einem Jahr die amerikanisch- schweizerischen Beziehungen belastet hatte.

Hintergrund des Streits ist die Art und Weise, wie Schweizer Banken mit den Einlagen von Holocaust-Opfern beziehungsweise deren Erben umgegangen sind. Das Bankgeheimnis machte in den 30er Jahren Schweizer Banken für deutsche Juden attraktiv, weil es Auskünfte über die Identität der Sparer und Anleger verbot, die ihre Gelder damit vor den Deutschen in Sicherheit wähnten. Aber eben dieses Bankgeheimnis schlug gegen die Besitzer oder rechtmäßigen Erben zurück. Als die nach dem Krieg ihre Guthaben zurückforderten, forderten die Schweizer Banken Totenscheine, die die Nazis nicht ausstellten, oder Kontonummern, die die Überlebenden meist nicht kannten.

Die Höhe der auf diese Weise den rechtmäßigen Eigentümern vorenthaltenen Vermögen wird sich wohl nie genau ermitteln lassen. Die Schweiz war letztes Jahr unter erheblichen Druck geraten, als erst der Finanzausschuß des US-amerikanischen Senats unter dem New Yorker Senator Alfonse D'Amato Hearings anberaumte und dann der stellvertretende Außenminister Stuart Eizenstat zusammen mit dem Historiker des State Department eine zweibändige Untersuchung des Finanzgebarens der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs vorlegte.

Der Schweiz wurde nachgewiesen, daß und in welchem Maße ihre Zentralbank sich als Geldwäscher der Nazis betätigt hatte, indem sie nicht nur das Raubgold aus europäischen Zentralbanken, sondern auch das den Holocaust-Opfern geraubte sogenannte Totengold, also Goldzähne und Schmuck, in konvertible Währung umtauschte. Die erlaubte dann der deutschen Kriegsmaschine den Ankauf kriegswichtiger Güter.

Die Diskussion über die Schweizer Hehlerschaft führte einerseits zu einem gewissen Entgegenkommen der Schweizer Banken. Plötzlich entdeckten und veröffentlichten sie eine lange Liste mit den Namen von früheren Kontoinhabern und schufen einen Fonds für deren Entschädigung. Andererseits kam es in der Schweiz zu heftigen Diskussionen über die Mitverantwortung für Krieg und Holocaust.

Unabhängig davon verfolgten Holocaust-Opfer in Brooklyn ihre Forderungen. Das Banken-Angebot einer einmaligen Zahlung von 600 Millionen Dollar befanden die Kläger für zu niedrig. Als die Banken sich verhandlungsunwillig zeigten, drohte der Stadtkämmerer von New York, Alan G. Hevesi, im Juni dieses Jahres damit, den in New York ansässigen Schweizer Banken die Verwaltung der städtischen Pensionskassen zu entziehen, womit den Banken empfindliche Verluste entstanden wären. Auch die Bundesstaaten Kalifornien und Pennsylvania drohten Boykottmaßnahmen gegen Schweizer Banken an.

Prominente Schweizer, darunter ein ehemaliger Staatspräsident, vermuteten hinter den Boykottmaßnahmen, die am 1. September dieses Jahres beginnen sollten, unlauteren Wettbewerb, mit dem sich die Bankenstadt New York gegen Konkurrenz aus der Schweiz wehren wolle. Auch der US-Bundesregierung war der Alleingang der Stadt New York peinlich. Den Schaden, den der Eizenstat-Bericht in den US-amerikanisch- schweizerischen Beziehungen bereits angerichtet hatte, versuchte ein neuer Bericht der Eizenstat- Kommission abzumildern, der dieses Jahr herauskam und nachwies, daß außer der Schweiz auch Länder wie Portugal, Spanien, Schweden und Argentinien gegen die Neutralität verstoßen und die Kriegführung der Nazis durch Materiallieferung ermöglicht hatten.

Das Außenministerium übte erheblichen Druck auf die Stadt New York aus, ihre Drohung gegen Schweizer Banken zurückzuziehen. Schließlich kam die Einigung zustande, weil die Schweizer Banken „einsahen, daß nicht die Juden, sondern die Geschichte der Feind der Schweiz ist“, wie sich Abraham Foxman, Vorsitzender des US-Zweigs der Anti-Defamation League ausdrückte, und weil „ich Sorge hatte, daß der letzte Sound Bite dieses Jahrhunderts, der sich mit dem Holocaust beschäftigt, nicht das Gold der Juden sein sollte.“