Die Demokratie frißt ihre Kinder

■ Die kleine chilenische Tageszeitung „La Epoca“ war eines der führenden oppositionellen Medien unter der Pinochet-Diktatur. Nun, nach elf Jahren, muß sie ihr Erscheinen einstellen

Am Ende reichte das Geld nicht einmal mehr für eine Abschiedsausgabe. Ganz und gar untheatralisch stellte die chilenische Tageszeitung La Epoca Ende Juli mit einer normalen Freitagsnummer das Erscheinen ein.

Mehrere Wochen hatte das Blatt um sein Überleben gekämpft, nachdem Ende März die Druckerei den Vertrag gekündigt und sich der Hauptfinanzier aus dem (Zuschuß-)Geschäft zurückgezogen hatte. Als sich die Suche nach neuen Investoren als aussichtslos erwies, den Solidaritätsbekundungen, die aus aller Welt bei der Redaktion in Santiago de Chile einliefen, keine Taten folgten, blieb nur noch die Einstellung. 120 Mitarbeiter, darunter 60 Redakteure und Redakteurinnen, verloren ihren Arbeitsplatz.

„Epoca“ bedeutet „Epoche“, und es ist nicht vermessen, das Ende der Zeitung tatsächlich als das Ende einer Epoche zu verstehen. Auch wenn die Zeitung mit einer Auflage von gerade einmal 15.000 Exemplaren (nach optimistischen Schätzungen) nie zu den großen Blättern Chiles gehört hat, kam ihr stets eine besondere Bedeutung zu. Am 18. März 1987 erstmals erschienen, war sie eines der führenden Medien der Opposition gegen die Pinochet-Diktatur. Aber während andere oppositionelle Zeitungen ihr Erscheinen 1990 nach den ersten demokratischen Wahlen einstellten, wollte La Epoca auch den schwierigen Demokratisierungsprozeß publizistisch vorantreiben. Die Erklärung, mit der Carlos Aldunate, stellvertretender Direktor der Zeitung, das endgültige Aus bekanntgab, war daher nicht frei von Bitterkeit: „Die Demokratie, die aufzubauen wir mitgeholfen haben, hat entschieden, daß sie auf uns verzichten kann. Wir akzeptieren dieses Urteil mit Würde.“

Das Ende von La Epoca steht symptomatisch für die Schwierigkeiten, die der Andenstaat auch fast zehn Jahre nach der Absetzung Pinochets noch mit dem Übergang zu Demokratie und Pluralismus hat. Zur gleichen Zeit, da sich der Ex-Diktator zum Senator auf Lebenszeit ernennen läßt, verschwindet eine der entschiedensten Verfechterinnen der Demokratie in der Versenkung. Und mehr noch: Mit La Epoca verabschiedet sich die vorletzte überregional erscheinende Tageszeitung, die nicht zu einem der zwei großen chilenischen Medienkonzerne gehört. Auch wenn sie ihre Unabhängigkeit durch die Nähe zur regierenden katholisch-liberalen Christdemokratie (Democracia cristiana) bisweilen selbst aufs Spiel setzte, war sie doch das Blatt mit der höchsten Eigenständigkeit, bot den meisten Raum für kontroverse Positionen. Was nach ihrem Ende bleibt, ist dürftig.

Neben der in Staatsbesitz befindlichen und deshalb nicht wirklich unabhängigen La Nación, die obendrein ständig unter dem Damoklesschwert von Privatisierung oder Schließung steht, bietet die eingeebnete Presselandschaft jetzt nur noch, was das Imperium der Familie Edwards oder das Presse- Konsortium COPESA (Consorcio de Prensa) produzieren. Unangefochten führend ist dabei der so einflußreiche wie konservative El Mercurio, mit einer Auflage von bis zu 400.000 Exemplaren. Neben ihm halten sich lediglich eine Reihe Abendzeitungen und Boulevardblätter, deren Inhalte überwiegend so schlicht sind wie ihre Namen – als Segunda, Tercera oder Cuarta sind drei von ihnen bloß durchnumeriert. Kritische Stimmen sind von diesen Blättern nicht zu erwarten: Vor allem El Mercurio hat aus seiner Sympathie für Pinochet noch nie einen Hehl gemacht.

Fast 80 Prozent des chilenischen Pressemarkts werden von den beiden Großkonzernen kontrolliert, rund 90 Prozent der Zeitungsleser informieren sich aus ihren Erzeugnissen. Jorge Donoso, Präsident des Nationalen Journalisten-Verbands, forderte die Regierung deshalb auf, endlich Schritte gegen die Pressekonzentration zu unternehmen – ein frommer Wunsch, der, weil unvereinbar mit der neoliberalen Ideologie, die zum Markenzeichen chilenischer Politik geworden ist, wohl ungehört verhallen wird. Joachim F. Tornau