„Es fehlt an demokratischem Bewußtsein“

■ Heute vor 25 Jahren putschte General Augusto Pinochet in Chile. Der chilenische Kommunist Lautrato Carmona sieht die Vergangenheit der Diktatur noch lange nicht als abgeschlossenes Kapitel

Lautrato Carmona (45) ist Mitglied der politischen Kommission der Kommunistischen Partei Chiles. Während der Militärdiktatur war er Sekretär der Kommunistischen Jugend.

taz: Der Nationalfeiertag wurde vom Tag des Putsches auf ein anderes Datum verlegt, das Militär will an diesem elften September erstmals nicht aufmarschieren. Ändert sich etwas in Chile?

Lautrato Carmona: Es sieht in der Tat nach außen hin so aus. Aber die Realität ist eine andere. Pinochet ist Senator auf Lebenszeit geworden, also immer noch an der Regierung mitbeteiligt, er wurde nie zur Rechenschaft gezogen. Wir haben weder die Wahrheit erfahren, noch gibt es Gerechtigkeit.

Wie werden Sie Salvador Allende gedenken?

Wir wollten ihn mit einer Hommage im Regierungspalast Moneda würdigen, dort, wo er vor 25 Jahren ums Leben kam. Diese Demonstration von Gewerkschaftern, Menschenrechtsgruppen und linken Parteien wurde von der Regierung nicht genehmigt. Dabei starb Allende als Demokrat, der die Demokratie verteidigte. Man nimmt uns das Recht, ihn zu ehren. Die Regierung lehnte dies auf Druck der Pinochet-Anhänger ab, die selbstverständlich keine Hommage Allendes dulden wollen.

Wie groß ist denn der Einfluß der Pinochet-Anhänger auf die chilenische Politik heute?

Der Einfluß der Militärs ist noch immer sehr stark. Und sie sind politischer Akteur geblieben, was in einem demokratischen Staat nicht sein dürfte – die Demokratie ist noch immer nicht komplett wiederhergestellt. Solange Pinochet an der Regierung beteiligt ist, wird das auch nicht möglich sein.

Ihre Partei hat insgesamt neun Verfahren gegen Pinochet vor chilenischen Gerichten unter anderem wegen Völkermordes angestrengt. Ist es vorstellbar, daß Pinochet einmal vor einem chilenischen Gericht stehen wird?

Wir denken, daß die Justiz eine moralische Verpflichtung hat, gegen Pinochet ein Verfahren zu eröffnen. Aber es fehlt an demokratischem Bewußtsein. Daß Pinochet noch immer nicht vor Gericht gestanden hat, zeichnet ein düsteres Bild von der derzeitigen chilenischen Regierung.

In Chile ist Pinochet sicher. Als Senator auf Lebenszeit genießt er Immunität. Statt dessen läuft in Spanien ein Prozeß gegen ihn ...

Und das ist gut so. Das hat nichts mit Einmischung in die inneren Angelegenheiten zu tun. Bei Verbrechen gegen die Menschheit ist es wichtig, daß die Menschheit sie auch verurteilt. Es muß gegen Pinochet ermittelt werden.

Dabei redet ein Teil der Rechten derzeit viel von Amnestie.

Ja, sie nennen es Amnestie, wir nennen es Straflosigkeit. Die Idee der Rechten ist, daß über eine Amnestie eine nationale Versöhnung stattfinden soll. Aber diese ist nicht möglich, wenn die Mörder und Folterer weiterhin frei herumlaufen. Wir lehnen das strikt ab, sie müssen endlich für ihre Verbrechen büßen. Würden wir uns gegen die Aufklärung der Verbrechen stellen, hätten wir keine Vergangenheit mehr, alles bliebe unter dem Teppich. Und ohne Vergangenheit hätten wir dann auch keine Zukunft. Interview: Ingo Malcher