Ein Weltstar spricht zum Holocaust

In einem Berliner Gymnasium stellte der Regisseur Steven Spielberg erstmals ein Video seiner Shoah-Foundation vor. Die Opfer des Holocaust bekommen damit Gesichter. SchülerInnen wollen mehr Zeitzeugen hören  ■ Aus Berlin Jutta Wagemann

Steven Spielberg kann froh sein, daß er kein Lehrer ist. Die SchülerInnen hätten nur noch gelacht und gewitzelt. Zum ersten Mal will der berühmte Hollywood-Regisseur hier seine CD-ROM mit Interviews von Holocaust-Überlebenden zeigen – und kämpft mit der Technik. Die Maus rutscht nicht dahin, wo sie hin soll. Das Programm startet nicht richtig. Spielberg hampelt mit der Fernbedienung. Doch die Schüler sind ganz still und warten geduldig. Sie finden Spielberg sympathisch: ein Weltstar, der so normal ist.

48.000 Holocaust-Überlebende hat die von Steven Spielberg gegründete Shoah Foundation bisher interviewt. Bei den Dreharbeiten zu „Schindlers Liste“ hatte sich der Macher von Filmen wie „Der weiße Hai“ und „E.T.“ vorgenommen, die Erinnerung der Zeitzeugen auf Zelluloid zu bewahren. Aufnahmen von vier dieser Überlebenden zeigte er gestern zum ersten Mal in Deutschland, in einem Berliner Gymnasium.

Vor der Schule warten die Autogrammjäger auf ihren Star. In der Aula legen die SchülerInnen ihre Scheu ab. Könnte Steven Spielberg nicht auch eine Dokumentation über den Völkermord in Ruanda machen? Oder über den Krieg in Bosnien? Der smarte Spielberg bleibt höflich, aber lehnt eindeutig ab: Diejenigen, die ein spezielles Interesse an Ruanda oder Bosnien hätten, sollten die Greuel dokumentieren. Seine Erfahrung mit einem derartigen Projekt stelle er aber gerne zur Verfügung.

Die erste kritische Frage hat der Meister noch selbst beantwortet, bei den weiteren schiebt er den Präsidenten der Foundation, Michael Berenbaum, vor. Warum nur Opfer, aber keine Täter interviewt wurden? „Steven wollte das nicht nebeneinander haben“, sagt er. Nur in Ausnahmefällen griffen die Interviewer auf das Zeugnis von Tätern zurück, etwa weil sich keine Überlebenden von Treblinka fanden.

Die Schüler blamieren ihre Lehrer nicht. Obwohl sie im Unterricht auf den Spielberg-Besuch kaum vorbereitet wurden, treffen sie mit ihren Fragen die entscheidenden Punkte. Nicht nur die technische Seite des Projekts interessiert sie. Sie fragen sich vielmehr: Was haben die Interviews ausgelöst – bei den Opfern und bei Spielberg selbst? Am Tag zuvor hatte das Gymnasium in Charlottenburg eine Zeitzeugin eingeladen, die von ihren Erlebnissen berichtete. „Dadurch wurden die Ereignisse von damals viel nachvollziehbarer als über Geschichtsdaten“, sagt Patrizia aus der Jahrgangsstufe 12. Das gefällt ihr auch an Spielbergs Projekt: Hinter den abstrakten Zahlen werden die Menschen sichtbar.

Doch den SchülerInnen wird auch klar: Den Opfern fällt es nicht leicht, über ihre Vergangenheit zu sprechen. Deshalb interessiert sie: Gab es eine psychologische Betreuung nach dem Interview? Oder wurden die Menschen aufgewühlt und dann allein gelassen? Die Frage nach der Betreuung muß Spielberg verneinen, aber unangenehm ist ihm das nicht. Viele Überlebende seien froh gewesen, über das Erlebte zu sprechen. „Für die Interviewten ist das Gespräch wie ein Geschenk“, sagt Spielberg. Ohne Zweifel: Er ist stolz auf sein Projekt.

Bei den SchülerInnen kommt es auch gut an. Noch besser fände sie es, sagt Luise aus der elften Klasse, wenn man persönlich mit Zeitzeugen sprechen könnte. Aber das sei ja meistens nicht möglich. „Ein bißchen Hollywood“ sieht Jan aus der 13 in der CD-ROM, auf der die Interviews mit historischen Bildern, Musik und Karten eingerahmt werden. Aber das stört ihn nicht. Den Erläuterungstext auf der CD-ROM sprechen die beiden Teenie-Stars Leonardo di Caprio und Wynona Ryder. Doch der Titanic-Star interessiert die Berliner SchülerInnen nur am Rande. Das Projekt, so die Schüler, werde noch lange Gesprächsstoff bleiben.