Kranlieder im Acht-Kanal-Ton

■ Das „Ruhrwerk“ will ein pathetisches Jahrtausendwerk sein

Viel vorgegeben haben die Urheber des „Ruhrepos“ nicht. Ihr Exposé umfaßt nicht mehr als vier Seiten: Brechts epische, Weills musikalische und Kochs filmische Vision. Vom Essener Operndirektor Rudolf Schulz-Dornburg 1927 ins Ruhrgebiet geholt, zerbrach das euphorisch begonnene Projekt schon bald an persönlichen und politischen Differenzen. Wolfgang Hufschmidt, der musikalische Leiter der Adaption „Ruhrwerk“, hatte also freie Hand. An Weill anzuknüpfen kam für ihn nicht in Frage: „Ruhrwerk ist symphonisch und soll das Pathos eines Jahrtausendwerkes ausstrahlen. Die fragmentarischen Kranlieder Brechts für die Ruhroper sollen heute die Maschinen singen lassen“. Dies tun sie allerdings auch bei den Einstürzenden Neubauten.

Hufschmidts Komposition umfaßt vier Sätze, in denen die vier Themen auf vier Zeitachsen behandelt werden. „Eine Stunde Arbeit der Zukunft“ spiegelt den hochtechnisierten Produktionsprozeß und entspricht in etwa der Dauer der Aufführung. „Ein Tag Leben in den Städten“ sind Videosequenzen mit Menschen, die heute im Ruhrgebiet leben und 24 Stunden begleitet wurden. „Ein Jahrhundert Geschichte des Reviers“ wird fotografisch aufgearbeitet, „Ein Erdzeitalter an der Ruhr“ macht sich an steinernen Funden fest.

Die Besucher werden in einen Klangraum getaucht, der die riesige Halle mit Acht-Kanal-Ton und fünf gewaltigen Videoprojektionen erfassen soll. Verschmolzen mit dem Spiel der Instrumentalsolisten, den Sprechern und der Stimme eines Bochumer Knabensoprans wird daraus, so hoffen die Veranstalter, ein Kunstereignis für Augen und Ohren, Gefühl und Verstand. Vielleicht aber auch nur eine Mischung aus gigantischer digitaler Diaschau und computeranimierter Geräuschkulisse. Am Ende steht eine „Adresse des sterbenden Dichters an die Jugend“. Brecht fordert die junge Generation auf, „die Städte bewohnbar zu machen“. Dabei ginge es heute wohl eher um deren Bezahlbarkeit. Peter Ortmann