Das wirklich falsche Leben

Erst schlafende Prinzessin, am Ende gefallener Engel: Romy „Sissi“ Schneider. Eine Ausstellung im Filmmuseum Potsdam beschäftigt sich mit Leben, Mythos und Werk  ■ Von Jenni Zylka

„Romy. Portrait eines Gesichts“ heißt ein Interviewfilm, den Hans- Jürgen Syberberg 1965 mit der damals 27jährigen drehte. Um ihr Gesicht geht es ohnehin die ganze Zeit. Fotos aus der Zeit vom Anfang der Karriere zeigen Romy als hellen, lächelnden Fleck mit Grübchen, ein zappelnder, talentierter Backfisch mit einem fröhlich-glatten Gesicht. Als Mutter Marga beim Filmen noch auf sie aufpaßte, notierte die 15jährige erstaunt „Am meisten irritierten mich die ganzen Menschen, die um uns herumstanden... Ich hatte immer gedacht, daß man beim Filmen ganz alleine ist.“ Danach kam Sissi, und damit saß die kindliche Kaiserin Romy auf einem Thron, von dem sie Zeit ihres Lebens herunterspringen wollte. „Umgekehrter Dornröscheneffekt“ metaphert einer der Kuratoren über ihre Karriere.

Recht hat er: Zuerst war Romy eine schlafende Prinzessin, und viel später erst wurde sie ein Mädchen, eine Frau. Auf der Vernissage wird viel von Romy als Spiegel der Zuschauer, als Projektionsfläche für eigene Erfahrungen gesprochen. Vielleicht macht ihr offenes Gesicht es besonders leicht, sich darin wiederzufinden? Man sieht Schwäche und Verletzlichkeit in ihm, aber das gerade macht sie zu einer starken Schaupielerin – selten in den 50ern, in denen Bombshells oder Kindfrauen die Leinwand „ausfüllen“ mußten. Der Typ, den sie damals anfängt, zu verkörpern, ist ein neuer Typ. Es ist eine begeisterungsfähige, zweifelnde, emotionale Frau, der man traurige Parts glaubt. Romys Gesicht wird fast mit jedem Film klarer, verständiger und ein bißchen verzweifelter, bis nur noch ausdrucksstark geschminkte Augen und die unvermeidliche Zigarette übrigbleiben.

Ihre zu hohe, zu mädchenhafte Stimme gewinnt durch das fremde Idiom: auf Französisch klingt's eleganter als mit dem Herzl-Busserl- Österreich-Dialekt. Probleme mit dem Filmbusineß hatte sie natürlich, als sensibler Mensch mit einer starken Liebessehnsucht, die sich in schwierigen, leidenschaftlichen Beziehungen und Selbstzweifeln äußert. Dazu kommen private Schicksalsschläge wie der Unfalltod ihres Sohnes David. In einem Brief notiert Romy in ausufernder Schrift mit vielen Querverweisen und Unterstreichungen: „Ich wollte leben, und ich wollte gleichzeitig Filme machen. Aus diesem Widerspruch habe ich nie herausfinden können.“ Weil sie nach Frankreich gegangen ist, um eine von „Sissi“ unbefleckte Karriere machen zu können, werden oft Parallelen zu Marlene Dietrich oder Greta Garbo gezogen, die Deutschland ebenfalls verließen. Dabei ist es durchaus vorstellbar, daß eine neugierige Schauspielerin ihre Erfüllung einfach nicht in der spießigen, muffigen Enge der deutschen Nachkriegsjahre findet, sondern lieber Savoir vivre in den Armen eines blutjungen, wunderhübschen und damals politisch hoffentlich noch progressiveren Alain Delon suchen wollte. Romy in Paris – sie lernt Stil und Schick von französischen Modepäpstinnen und eine intensive Schauspielkunst von Regisseuren der „Nouvelle Vogue“. Sie sagt, drei Menschen haben ihr Leben verändert: Alain Delon, Lucchino Visconti, für den sie in „Boccaccio 70“ neben Anita Ekberg und Sofia Loren spielt, und Coco Chanel. In der Ausstellung sind Kostüme zu sehen, die sie in „Die Bankiersfrau“ trug, und Plakate, die daran erinnern, daß sie auch komödiantisches Talent besaß, etwa in Woody Allens „What's new, Pussycat?“ oder neben Jack Lemmon in „Leih mir deinen Mann“.

„Sie hätte aber bestimmt nicht in deutschen Komödien von heute gespielt“, spottet eine der Referentinnen treffend. Der Rest der Ausstellung, die in Potsdam Premiere hat und in erweiterter Form ab 28.11. zuerst in Hamburg, später in weiteren europäischen Städten zu sehen ist, ist eine Collage von Fotografien, Zitaten, Briefen, Filmen der begleitenden, ausführlichen Retrospektive (Bonus: ein noch nie in Deutschland gezeigtes Filmsegment des unvollendet gebliebenen „Die Hölle“ von 1964), Diashows, ein neues Katalogbuch und eine CD. Romy Schneider, geborene Rosemarie Magdalena Albach, starb im Mai 1982 in ihrer Pariser Wohnung an Herzinfarkt. Sie hatte mehrere gescheiterte Beziehungen, einen tragischen Todesfall und 58 Filme hinter sich. Würde sie noch leben, könnte sie am 23. September ihr 60stes Wiegenfest mit allem dazugehörigen Brimborium feiern, Romy-Filme im Fernsehen, Gratulationen in „Bunte“, „Goldenes Blatt“ und „Spiegel“, einschließlich des Hinweises auf den 100. Todestag der echten Kaiserin „Sissi“, der in diesem Jahr anstand. Aber wahrscheinlich würde sie sowieso keinen Wert auf diesen ganzen Wirbel legen.

„The real life is a movie – Mythos Romy Schneider“. Ausstellung vom 10.9–15.11 im Filmmuseum Potsdam, Marstall, mit Film-Retrospektive im Filmmuseum und im Filmkunsthaus Babylon