AKW-Ausstieg ohne einen Fahrplan

■ Umweltverbände und grünes Fraktionsmitglied kritisieren die Einigung der Koalitionäre zum Ausstieg, weil konkrete Ausstiegsfristen fehlen. Grünen-Chef Trittin ist zufrieden mit dem Ergebnis, das im wesentl

Hannover (taz) – Von „einer skandalösen Farce“ und einem „angeblichen Einstieg in den Atomausstieg“ sprachen die Umweltverbände BUND und BBU gestern bereits, als die Details der Einigung in Sachen Ausstieg zwischen Gerhard Schröder und Jürgen Trittin noch gar nicht bekannt waren. Unter acht Augen, im inneren Zirkel der Koalitionsverhandlungen, hatten Trittin, der hessische Umweltstaatssekretär Rainer Baake mit Schröder und einem seiner Berater an Mittwoch abend eine Verständigung über den Ausstieg erzielt, über jenes Herzensanliegen der Grünen, dem die Partei zu großen Teilen ihre Entstehung verdankt.

Das Papier allerdings, das in der kleinen Runde entstanden war und dem am heutigen Freitag die Verhandlungskommission beider Koalitionspartner ihren Segen geben sollen, hüteten die künftigen Regierungspartner gestern wie ihren Augapfel. Immerhin war gestern schnell klar, was die Grünen nicht erreicht hatten: „Wir werden sicherlich keine Fahrpläne und Einzelheiten im Koalitionsvertrag regeln“, sagte deren Vorstandssprecher Trittin gestern. Und als hätten die Grünen nicht seit Jahren an einem Ausstiegsgesetz mit Abschaltfristen gearbeitet, fügte er hinzu: „Das würde den Rahmen einer gesetzlichen Regelung sprengen.“

Immerhin sieht die rot-grüne Einigung nun eine schnelle erste Änderung des Atomgesetzes vor. In den ersten hundert Tagen will die neue Bonner Regierungskoalition dem Atomgesetz seinen bisherigen Zweck „Förderung der friedlichen Nutzung der Kernenergie“ nehmen. Beim Verdacht auf Sicherheitsmängel in Atomanlagen soll sich die Beweislast umkehren: Die Betreiber sollen künftig einen Gefahrenverdacht widerlegen müssen. Wahrscheinlich müssen sich die AKW-Betreiber künftig auch höher versichern. Schäden bei Reaktorunfällen von bis zu fünf Milliarden Mark sollen dem Vernehmen nach ihre Policen künftig abdecken müssen – zehnmal mehr als bisher. Durch die Gesetzesänderung soll auch die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente im Ausland beendet werden. Allerdings nicht abrupt, sondern durch Auslaufenlassen.

In rechtsgültige Verträge mit den Wiederaufarbeitungsanlagen im Ausland könne der Gesetzgeber nicht eingreifen, ohne für fällige Vertragsstrafen in Regreß genommen zu werden, sagte gestern der niedersächsische Umweltminister Wolfgang Jüttner, der sich zugute hält, daß mit der Bonner Einigung seine Positionen nun „Eingang in die hohe Politik gefunden haben“. In der Tat hatte Jüttner als erster vorgeschlagen, einer schnellen Atomgesetznovelle Konsensgespräche folgen zu lassen – und für den Fall deren Scheiterns mit einer zweiten, den Ausstieg gesetzlich festschreibenden Atomrechtsänderung zu drohen.

Auf so einen Fahrplan haben sich die Bonner Koalitionäre jetzt verständigt, allerdings sollen die Verhandlungen mit den Energieversorgern über einen Konsens jetzt nur noch höchstens ein Jahr dauern. Bei einem Scheitern der Konsensrunden können wohl die beiden Partner ihre Verhandlungen über den Ausstieg noch einmal von vorn beginnen. Der künftige Umweltminister Jürgen Trittin sah jedoch gestern das alles sehr viel optimistischer. Die ersten AKWs würden bereits in der laufenden Legislaturperiode abgeschaltet, versicherte der Grünen-Vorstandssprecher, der Koalitionsvertrag werde den Atomausstieg als unumkehrbar bezeichnen. Trittin hat bereits vier Jahre als Minister in einem Kabinett Schröder hinter sich, als Bundesratsminister im nach 1990 rot-grün regierten Niedersachsen. Auch damals wollte die Schröder-Landesregierung die vier niedersächsischen AKWs zum Stillstand bringen, das AKW Stade sogar innerhalb eines Jahres. Als eines der ältesten Kraftwerke ist dieser Reaktor nun ja vielleicht einer der Kandidaten für ein zügiges Abschalten.

Die atompolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Ursula Schönberger, die im neuen Bundestag nicht mehr vertreten sein wird, nannte die Koalitionseinigung schlicht „enttäuschend“. Bei der künftigen Bundesregierung gäbe es zwar eine Veränderung der Haltung zur Atomenergie, die sich sicher in der praktischen Politik, etwa des Bundesumweltministeriums, niederschlagen werde. Aber, so sagte Schönberger klar: „Es gibt in dieser Vereinbarung keinen Ausstieg aus der Atomenergie, der in absehbarer Zeit wirksam werden würde.“ Jürgen Voges