Winzer muss den Sheriff spielen

RUHE Seit fast 50 Jahren ist der Weinbrunnen in Wilmersdorf ein Treffpunkt im Kiez. Doch plötzlich stört sich ein Ehepaar am sommerlichen Treiben – und klagt wegen des Lärms

Vom Tisch ist der Rechtsstreit damit aber noch nicht. Der Anwalt kündigt an, neue Emissionsgutachten einholen zu wollen. Im Anschluss sei zu prüfen, ob man in einem Hauptsacheverfahren den Klageweg beschreite

VON PLUTONIA PLARRE

Unter hohen schattenspendenden Linden sitzen Hunderte von Menschen und lassen sich gekühlten Wein aus dem Rheingau munden. Es summt und brummt wie in einem Bienenstock. Die Tische sind liebevoll mit eigenen Tischtüchern, Geschirr und Besteck gedeckt. Auf den Tellern individuell zubereitete Köstlichkeiten: gewürfelter Käse, Brot, Weintrauben und Oliven. Im Weinbrunnen am Rüdesheimer Platz bringen die Gäste das Essen selbst mit. Nur den Wein müssen sie in der Schenke kaufen, einem einfachen Holzverschlag. Vergleichbares gibt es nirgendwo sonst in Berlin.

Erfolglose Mediation

Der Weinausschank neben der Brunnenanlage mit dem Siegfriedsdenkmal wird seit 1967 im Sommer von Winzern betrieben. Immer noch handelt es sich um einen Geheimtipp. Das Stammpublikum besteht aus der Anwohnerschaft, auffällig viele ältere Semester. Einem Anwohner-Ehepaar indes passt das alles seit längerer Zeit nicht. 1985 haben die beiden auf der nördlichen Seite des Rüdersheimer Platzes eine Eigentumswohnung bezogen. Lange Zeit war Ruhe – bis vor ein paar Jahren die Querelen begannen.

Das Ehepaar fühlt sich von dem Treiben in seiner Ruhe gestört. Eine vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf initiierte Mediation und eine Bürgerversammlung vermochten sie nicht zu beruhigen. Nun zogen die Eheleute mit einem Eilantrag vor das Verwaltungsgericht: Das Bezirksamt müsse die Schankerlaubnis aus Lärmschutzgründen widerrufen.

Das Gericht hat den Antrag Anfang Juli zurückgewiesen. Gegen den Beschluss ist Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht möglich. Die Frist läuft am heutigen Freitag ab. Der Anwalt des Klägerpaars, Tim Stähle, sagte am Donnerstag zur taz, seine Mandanten würden keine Beschwerde einlegen. Vom Tisch ist der Rechtsstreit damit aber noch nicht. Stähle kündigte an, neue Emissionsgutachten einholen zu wollen. Im Anschluss sei zu prüfen, ob man in einem Hauptsacheverfahren den Klageweg beschreite. „Aus unserer Sicht sind die bisher erfolgten Emissonsmessungen und Schallprognoseberechungen fehlerbehaftet und nicht repräsentabel“, so Stähle.

Fünf Monate geöffnet

In den Häusern rund um den Park wohnt ein gutsituierter Mittelstand, auf den Straßen sieht man am Vormittag mehr Rollatoren als Kinderwagen. Die Inhaberin des Teehauses erzählt, 95 Prozent hätten kein Problem mit dem Weinbrunnen. Die Wohnhäuser rund um den Rüdesheimer Platz wurden 1910 im Stil einer englischen Landhaussiedlung gebaut. An den Hausfassaden befinden sich Fresken in Form von Weintrauben, auch der Kläger wohnt in so einem Gebäude. Der Park ist Bestandteil des Rheingauer Viertels. Seit 1972 besteht eine Patenschaft des Bezirks mit dem Landkreis Rheingau-Taunus. Der Rheingauer Weinbrunnen findet seit 1967 in den Sommermonaten von Mai bis September statt. Seit 1998 teilen drei Winzerfamilien aus den Orten Winkel, Oestrich und aus Erbach den Ausschank unter sich auf.

Zurzeit schenkt Markus Nikolai vom Weingut Erbach aus. „Die Mischung der Gäste und die Atmosphäre im Park sind einmalig“, sagt er. Dass Gäste mal richtig laut geworden seien, habe er nie erlebt. Die Leute benähmen sich ausgesprochen zivil. Dass das Verwaltungsgericht das auch so gesehen habe, sei ein großer Erfolg, freut sich der 40-jährige Winzer. Sein Anwalt Oliver Ganseforth indes warnt mit Blick auf ein mögliches Hauptsacheverfahren: Noch sei es zu früh, sich in Sicherheit zu wiegen.

Bezirk erteilt Auflagen

Noch 2013 hatte der Bezirk an Wochenenden einen Ausschank in der Zeit von 15 bis 22.30 Uhr genehmigt. Seit diesem Jahr darf nach 21.30 Uhr kein Wein mehr verkauft werden. Ab 22 Uhr dürfen sich auf der Schankfläche des Weinbrunnens keine Gäste mehr aufhalten, die vier Treppenaufgänge müssen mit Zäunen verschlossen werden. Abends den Sheriff spielen zu müssen, das gefalle ihm gar nicht, sagt der Winzer Nikolai.

Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann (SPD) glaubt hingegen: Hätte der Bezirk dem Weinbrunnen nicht im Vorfeld all diese Auflagen erteilt, hätte das Verwaltungsgericht möglicherweise anders geurteilt. So sei ein Interessenausgleich mit empfindlichen Anwohnern hergestellt, ohne den Weinbrunnen zu beschädigen.

Tim Stähle, Anwalt des Klägers, behauptet, seinem Mandaten sei es nie darum gegangen, dass der Weinbrunnen komplett geschlossen werde. Tatsächlich hatte er in der Klageschrift gefordert, den Betrieb auf 18 Tage zu beschränken. „Damit wäre der Weinbrunnen faktisch kaputt“, sagt Bürgermeister Reinhard Naumann.