Atomkraft: abgehakt

■ Die Wende zum Ende: SPD und Grüne vereinbaren erstmals Atomausstieg. Zunächst soll mit der Atomindustrie über Modalitäten verhandelt werden. Die Rolle von Gorleben als End- und Zwischenlager ist ungeklärt

Berlin (taz) – Auf dem Papier ist er endlich beschlossen, der Atomausstieg. SPD und Bündnisgrüne gaben gestern bekannt: Ein Jahr lang soll mit den betroffenen Unternehmen ein Kompromiß zum Ausstieg aus der Atomenergie ausgehandelt werden. Wenn es dann noch keinen Energiekonsens gibt, werde die Bundesregierung den Ausstieg gesetzlich anordnen, so Grünen-Vorstandssprecher Jürgen Trittin. Er geht davon aus, daß binnen der nächsten vier Jahre die ersten deutschen AKWs abgeschaltet werden. Das Atomgesetz wird noch vor den Konsensgesprächen geändert: Abschaffung der Atomenergie ist künftig Sinn des Regelwerks.

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse betonte, die Auslaufzeiten der Meiler würden je nach Alter und Sicherheit unterschiedlich sein. Genaue Fahrpläne wurden nicht festgelegt. Der Ausstieg soll laut SPD ohne Entschädigungszahlungen an die Industrie erreicht werden.

Genauer äußerten sich die Parteien zu den Endlagern: Die rot-grüne Einigung setzt auf ein einziges Endlager für alle Arten atomarer Abfälle, das erst im Jahre 2030 im Betrieb gehen soll. Das Endlager Morsleben soll geschlossen werden. Auch die schon fast genehmigte Atommülldeponie Schacht Konrad für schwächer radioaktive Abfälle wird mit dem rot-grünen Entsorgungskonzept überflüssig. Das Endlagerprojekt wird allerdings dem Vernehmen nach in dem Papier, auf das sich beide Seiten am Mittwoch abend in einer kleinen Viererrunde geeinigt haben, nicht eigens erwähnt.

Die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente im Ausland soll schon in einer ersten Atomrechtsänderung abgeschafft werden, allerdings nicht abrupt. Die Wiederaufarbeitung in Frankreich und Großbritannien soll vielmehr auslaufen, wobei unklar bleibt, in welchen Umfang die AKW-Betreiber bereits bestehende Wiederaufarbeitungsverträge noch erfüllen können. Abgebrannte Brennelemente sollen künftig an den AKW-Standorten zwischengelagert werden.

Offenbar will der Koalitionsvertrag aber dann Castor-Transporte weiter erlauben, wenn in AKWs Betriebsstillstände drohen, wenn das Abklingbecken voll und eine Trockenlagerung von Brennelementen auf dem AKW-Gelände noch nicht genehmigt ist. Der niedersächsische Umweltminister Wolfgang Jüttner wollte deswegen gestern weitere Castor-Transporte ins Gorlebener Zwischenlager nicht ausschließen. „Wie sich die Zwischenlagerung in Gorleben entwickelt, ist nicht prognostizierbar“, sagt Jüttner. Dies hänge davon ab, wie schnell die Lager an den AKW-Standorten genehmigt würden. Gorleben habe außerdem weiterhin „eine mögliche Rolle als zentrales Zwischenlager für den norddeutschen Raum und für den Rücktransport von Atommüll aus der Wiederaufarbeitung“, sagte Jüttner.

Die Erkundung des Salzstocks Gorleben will die rot-grüne Bundesregierung erst einmal auf Eis legen. Für das Endlagerprojekt ist ein Moratorium vereinbart worden, wobei die Eignung des Salzstocks sehr kritisch gesehen wird. Nach Angaben von Jüttner sollen unter der neuen Bundesregierung nun Alternativstandorte in anderen geologischen Formationen gesucht werden.

Umweltverbände zeigten sich mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Der Naturschutzbund Deutschland begrüßte die grundsätzliche Übereinstimmung der künftigen Koalitionspartner. Der Verzicht auf einen Zeitplan sei jedoch „eine maßlose Enttäuschung und völlig inakzeptabel“, erklärte Präsident Jochen Flasbarth. SPD und Grüne müßten vielmehr politisch festlegen, wann das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet werde. Dieser Zeitpunkt müsse innerhalb der beginnenden Legislaturperiode liegen.

Die Atomwirtschaft hielt sich mit Stellungnahmen zurück. Die Börse hingegen weniger: Die Aktien der Stromversorger fielen gestern im Schnitt um 3,5 Prozent. Jürgen Voges

Berichte und Interview Seite 2