Aufarbeitung der Vergangenheit –betr.: „Bubis gegen Walser. Wie sollen wir uns erinnern?“, „Erinnerung als Erlösung“, Kommentar von Jörg Magenau, taz vom 10.11.98

Warum werden die Opfer der Nazibarbarei von den damals verantwortlichen Kriegsgüterherstellern mit einem Almosen aus der Portokasse abgespeist, während es für ein protziges Holocaustdenkmal vielfache Millionensummen gibt? Brauchen wir unbedingt eine kostspielige Kranzniederlegungsstätte für Diepgen, Radunski, Kohl & Konsorten? Die monumentale Abstraktion – wenn sie denn je entsteht – würde als Heuchelei empfunden, weil sie der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht entspricht. Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist kaum mit Denkmälern, sondern nur eine Politik der sozialen Gerechtigkeit, der tätigen Achtung der Menschenrechte und einer konsequenten Friedenspolitik zu verwirklichen, die diesen Namen auch verdient. [...] Der preußische Nationalismus, gestützt auf die Macht der Konzerne, hatte trotz Revolutionsversuchs 1919 in Deutschland nie aufgehört zu existieren, und gebar schließlich die SPD-gestützte Konterrevolution der kaisertreuen Freicorps. Sozialdemokratische Zeitzeugen werden sich daran noch erinnern. Nach Ansicht der Kapitalbesitzer war 1933 der Zeitpunkt gekommen, jetzt die verhaßte Demokratie mitsamt der Opposition endgültig zu beseitigen, um mit Rüstung und Krieg ungestört das ganz große Geld machen zu können. Die Chefs der Siemens, Krupp, Bayer, Deutsche Bank AG und wie sie alle weiter heißen, haben immer gewußt, geduldet und gefördert, was in den Konzentrationslagern geschah.

Es wäre ein Stück neue politische Ehrlichkeit, wenn hohe Vertreter dieses Staates auch jenseits der „Gnade der späten Geburt“ nicht länger so tun würden, als hätten sie von nichts gewußt. So manche scheinheilige Betroffenheitszeremonie würde uns erspart bleiben! Als ob aber Greuel, Verstrickung und Mitschuld schleichend in Vergessenheit geraten sollen, hofiert ein Helmut Kohl in Bitburg die toten SS- „Helden“, schafft ein demokratisch gewähltes Parlament 1994 mit den Stimmen der SPD das Asylrecht ab und treibt ein – ebenfalls demokratisch gewählter – Bremer CDU-Innensenator namens Ralf H. Borttscheller politisch verfolgte Menschen wissentlich in den Tod. Es sind dies nur wenige Beispiele einer langen Indizienkette für eine bereichsweise ungebrochene Kontinuität. Wehret den Anfängen – wenn es dazu nicht längst zu spät ist! Die völlige Wiederherstellung der demokratischen Grundrechte, des sozialen Netzes und des Asylrechts sowie ein Verzicht auf Militärabenteuer sind Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben. Das Holocaustmahnmal kann nur in uns selbst entstehen! Wieland von Hodenberg, Bremen

Ich empfinde den Kommentar von Jörg Magenau als eine deprimierende Verharmlosung der Rede von Martin Walser. Wer diese seine „Sonntagsrede“ (sollte das etwa doch ein wenig Selbstironie gewesen sein?) gehört und nicht nur gelesen hat, muß Bubis' Aussage, daß Walser darin für „eine Kultur des Wegschauens und Wegdenkens“ plädiere, vollauf zustimmen und leider auch Walsers Äußerungen für das Symptom einer (neuen oder doch wieder alten?) gesellschaftlichen Entwicklung halten, in der (intellektueller) Nationalismus und Antisemitismus zunehmen. Das zeigt sich wohl am deutlichsten in den Umfragen der letzten Zeit (s. u.a. taz S. 2 vom 10.11.98).

Schade, eine solche Relativierung, schade für die taz – aber ich weiß, Kommentare sind (nur?) persönliche Meinungsäußerungen. Ursula Dreysse, Frankfurt/Main