Der türkische Regierungschef Yilmaz steht vor dem Rücktritt

■ Der Regierung in Ankara droht das Aus. Der Ministerpräsident soll enge Kontakte zur Mafia gepflegt haben. Ein Mißtrauensvotum kann er nicht mehr überstehen, denn seine bisherige Mehrheit im Parlament ist dahin

Istanbul (taz) – Gestern mittag war das Ende der türkischen Regierung beschlossene Sache. Nach längerem Zögern schloß sich die Republikanische Volkspartei (CHP) der Opposition an und reichte ebenfalls einen Mißtrauensantrag gegen Ministerpräsident Mesut Yilmaz im Parlament ein. Damit ist die Minderheitsregierung von Yilmaz, die bislang von der CHP toleriert wurde, am Ende. Zwar kann über einen Mißtrauensantrag erst nach Ablauf von 72 Stunden abgestimmt werden, doch Yilmaz kündigte an, er werde eine Abstimmung nicht mehr abwarten.

Stein des Anstoßes ist eine Videokassette, die Dienstag nacht von zwei privaten Fernsehsendern gezeigt wurde. Beide Programme gehören dem Unternehmer Korkmaz Yigit, der in dem Beitrag über eine Stunde lang Details eines politischen Skandals zum besten gab. „Kamikaze-Video“ und „Das Video schlug ein wie eine Bombe“ titelte die türkische Presse gestern. Detailliert berichtete Yigit über den mißglückten Versuch, die staatliche Türkbank zu kaufen. Yigit war in dem Kampf um die Bank mit einem Gebot von knapp einer Milliarde Mark bereits als Sieger hervorgegangen. Doch Yilmaz ließ das Geschäft stoppen, nachdem ruchbar geworden war, daß Yigit den Kauf mit Hilfe des in Nizza in Auslieferungshaft sitzenden Mafiapaten Alaatin Cakici managen wollte. Yigit landete am vergangenen Montag in Untersuchungshaft.

Am Dienstag gab sein Anwalt dann weisungsgemäß die anscheinend für diesen Fall vorbereitete Videokassette an die beiden Fernsehanstalten. Darin behauptet Yigit, Ministerpräsident Yilmaz und sein Staatsminister Güneș Taner hätten ihn aufgefordert, die Türkbank zu kaufen. Auf seinen Einwand, er habe nicht genügend Geld, hätte Yilmaz ihm zugesichert, er würde sich für einen billigen Kredit einsetzen. Erst als ein Tonband in Umlauf gebracht wurde, das ein Gespräch zwischen ihm und dem Mafiapaten Cakici dokumentiert, hätte Yilmaz ihn fallengelassen.

Yigit, der bis vor wenigen Monaten noch ein unbeschriebenes Blatt war, kaufte aus dem Stand zwei Fernsehstationen und zwei der angesehensten Zeitungen des Landes, Milliyet und Yeni Yüzyil, auf. Dafür gab er in nur zwei Wochen 1,6 Milliarden US-Dollar aus. Bis dahin war der Unternehmer vor allem im deutschen Bausektor aktiv. Obwohl bereits kurz nach seinem Auftauchen vermutet wurde, daß Yigit mit der Mafia verbandelt sei, wurde er von Yilmaz unterstützt – wahrscheinlich mit dem Ziel, einen neuen Medienkonzern aufzubauen, der als publizistische Fußtruppe für die Partei des Regierungschefs, Anap, dienen sollte. Bislang wird die türkische Medienszene von zwei Konzernen beherrscht, deren führende Blätter Hürriyet und Sabah sind. Keine Regierung kann sich halten, wenn die geballte Macht dieser beiden Konzerne gegen sie gerichtet wird.

Die Kolumnisten beider Konzerne mutmaßen nun, daß sich nicht nur Yigit, sondern auch Ministerpräsident Yilmaz bei der Geldbeschaffung des Mafiabosses Cakici bedient hat. Der Rücktritt von Yilmaz wird jetzt gefordert, um eine parlamentarische Untersuchung der Zusammenhänge zu erleichtern. Jürgen Gottschlich