Der Käpt'n läßt den Motor laufen

■ Eine Kette von Mißverständnissen und Pannen führte zu den schlimmen Folgen der "Pallas"-Havarie vor Amrum. Nach 17 Tagen treffen die erforderlichen Geräte vor Ort ein

Hamburg (taz) – Südwestwind Stärke sechs, in Böen acht bis neun. Seegang sechs Meter und höher. Seit Tagen tobt das Unwetter über der Nordsee. Die „Pallas“, ein italienischer Holzfrachter unter der Flagge der Bahamas, kämpft sich 30 Seemeilen westlich der dänischen Stadt Esbjerg gegen Wellen und Sturm vor. An Bord: 13 Mann – Polen, Philippinen, Rumänen und Bulgaren – sowie jede Menge Holz auf dem Weg nach Casablanca. Plötzlich bricht im Laderaum Feuer aus. Erste eigene Löschversuche – „Luken dicht und weiterfahren“ – scheitern. Der Kapitän sendet einen internationalen Seefunkruf aus. Es ist der 25. Oktober 1998, es ist spätnachts.

Was danach geschieht, beruht auf einer tragischen Verkettung von Mißverständnissen, Zeitverzögerungen und Pannen: Bis heute, knapp drei Wochen nach dem Schiffsunglück, ist der Frachter, der mittlerweile vor der Küste Amrums gestrandet ist, weder geborgen noch der Brand gelöscht. Statt dessen sind mehr als 20 der 600 Tonnen Schweröl an Bord ausgelaufen und haben für eine Umweltkatastrophe im Wattenmeer gesorgt.

„Daß es auf einem Schiff brennt, kommt immer mal vor“, sagt Hans von Wecheln von der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste. Warum wurde die „Pallas“ trotzdem zum Drama? Unklar ist bis heute, weshalb der Kapitän nach Entdeckung des Brands weder die Maschinen stoppte noch die Ankerketten auswarf, wie es sonst üblich ist. „Die Ankerketten hätten Halt gefunden, das Schiff hätte in Ruhe ausbrennen können, und kein Öl wäre ausgetreten“, glaubt von Wecheln. Statt dessen sandten die Dänen noch in der Nacht vom 25. auf den 26. Oktober das Rettungsschiff „Nordsø“ aus sowie Helikopter, die die Besatzung vom brennenden Schiff holten.

Über einen eigenen Hochseeschlepper, der die „Pallas“ hätte bergen können, verfügt Dänemark nicht. Statt dessen gibt es ein Abkommen, wonach Deutschland in solchen Fällen helfend eingreift. Die deutschen Behörden, über den internationalen Seefunkruf benachrichtigt, senden tatsächlich am frühen Morgen des 26. Oktober mehrere Schlepper zum Unglücksort. Doch alle Bergungsversuche scheitern: Leinen geraten in Propeller, Trossen brechen.

„Da hätte ein richtiger Bergungsschlepper hergemußt“, kritisiert Werner Kunz, ÖTV-Gewerkschaftssekretär in Hamburg, Abteilung Seeschiffahrt. Doch der einzige zugkräftige Hochseeschlepper, über den die deutschen Behörden verfügen, die „Oceanic“, liegt zu der Zeit vor der niedersächsischen Küste. Die „Oceanic“ ist kein bundeseigenes Schiff, sondern muß „für teures Geld gechartert werden“, sagt Michael Blanke von der Internationalen Transport Föderation (ITF) in Bremen. Bevor über ihren Einsatz entschieden wird, vergeht oft viel Zeit. Auch bei der „Pallas“: Erst am 27. Oktober, zwei Tage nach dem Unglück und nachdem die „Pallas“ bereits in das Flachwasser sieben Seemeilen südwestlich von Amrum gedriftet ist, trifft die für Flachwassereinsätze völlig ungeeignete „Oceanic“ ein. Ihr Tiefgang liegt bei 7,2 Metern.

Am 30. Oktober, nachdem wie wild an der „Pallas“ geruckelt und gewerkelt wurde, tritt erstmals Hydrauliköl aus. Erst jetzt beauftragt Kiel das Staatliche Umweltamt Schleswig und das Amt für ländliche Räume Husum, eine „landseitige Ölbekämpfung vorzubereiten“. 7. November: Der Riß im Schiffsrumpf ist da. Die „Pallas“ verliert Schwer- und Dieselöl. Hunderte Vögel sterben, die Strände verölen. Die Einsatzleitstelle zur Bekämpfung der Meeresverschmutzungen (ELG) in Cuxhaven verhandelt weiterhin mit dem italienischen Reeder, der nach dem Seerecht für die Havarie haftet und folglich auch das Öl bergen soll. Doch der Eigner läßt alle Fristen verstreichen.

„Auch hier hätte Deutschland eher eingreifen können“, kritisiert ÖTVler Kunz. Die „International Convention on Salvage“ (Internationales Bergungsabkommen) sieht vor, daß ein Staat, der Gefahr für seine Küsten fürchtet, jede Maßnahme ergreifen kann, egal was der Schiffseigner davon hält.

Der „Pallas“-Manager in Italien weist alle Schuld und (finanzielle) Verantwortung von sich: Das Schiff gehöre einer Firma auf den Bahamas. Kiel erkennt: Es wird schwer sein, überhaupt irgend jemanden haftbar zu machen. Auf den Bahamas gibt es, wie in den meisten Billigflaggenstaaten, keine Seegerichtsbarkeit. Erst am 8. November beschließt die ELG, das Öl in eigener Zuständigkeit aus dem Wrack zu pumpen. Am 11. November, 17 Tage nach dem Unglück, treffen die zur Brandbekämpfung erforderlichen Geräte vor Ort ein. Heike Haarhoff