Marschieren für ein judenfreies Großpolen

In Polen gehören Demonstrationen und Straftaten von Rechtsradikalen zum Alltag. Antifaschistische Gruppen versuchen sich dagegen zu wehren. Doch den ganz heterogenen Organisationen fehlt der nötige Rückhalt  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

Als die europäische Flagge lichterloh brannte, knallten über 300 Rechtsradikale die Hacken zusammen und johlten: „Wir brechen der Union die Knochen! Polen den Polen! Solidarność – Hund Brüssels!“ Im Licht der lodernden Fackeln wirkten die in Stein gehauenen Soldaten des Warschauer Aufstandes von 1944, als stürmten sie erneut gegen den Feind. Diesmal aber gemeinsam mit den kahlgeschorenen „Verteidigern des Vaterlandes“ in Springerstiefeln und Tarnanzügen. In dramatischem Ton verlas ein Skinhead „unseren Appell an das Volk“: „Nein zur Nato! Nein zur EU! Keine Teilung Polens!“

Da die Demonstration der Rechtsradikalen ordnungsgemäß angemeldet war, lief sie als „normale“ Veranstaltung zum 80. Jahrestag der Unabhängigkeit Polens. Am Abend lagen auf dem Grab des Unbekannten Soldaten die Kränze der Rechtsradikalen und des polnischen Staatspräsidenten Aleksander Kwaśniewski einträchtig nebeneinander.

In Rzeszów setzten sich rund 200 Skinheads mit zum Hitlergruß erhobenen Armen an die Spitze der offiziellen Delegation. „Großpolen!“ skandierten die Glatzen, „Katholisches Polen!“ und „Juden nach Israel!“ Die Polizei sah tatenlos zu. Und so schritten der Bürgermeister und der ganze Stadtrat zur Feier des Unabhängigkeitstages hinter den Rechtsradikalen der Stadt einher.

In Krakau prügelten sich die Anhänger der Republikanischen Liga und der Radikalen Antikommunisten mit der Polizei, die die postkommunistische Delegation der Sozialdemokraten schützte. „Mörder!“ skandierten die Nationalisten, „Schande!“ und „Ab nach Moskau!“

In Polen sind Vorfälle dieser Art bereits so normal, daß die Medien kaum noch darüber berichten. Auch Schmierereien an den Hauswänden nimmt kaum noch jemand wahr. Pünktlich zum 11. November sind überall in den Städten neue hinzugekommen: „Juden raus!“, „Skinheads Division“, „Hitler, komm zurück, hier gibt's noch Juden!“ Daneben baumeln Davidsterne am Galgen. Da niemand daran denkt, diese Schmierereien zu übermalen, sieht ganz Polen inzwischen aus, als versinke es im braunen Sumpf.

Zwei Tage zuvor, am 9. November, hatte die Gesellschaft „Nigdy Wiecej“ (Niemals wieder) einen Appell mit dem Titel „Schluß mit der Straffreiheit für Faschisten!“ veröffentlicht. Doch das Interesse war gering. Nur eine einzige Zeitung berichtete überhaupt darüber. Rafal Pankowski, einer der führenden Antifaschisten Polens, nickt fast schon resigniert: „Natürlich sind Organisationen wie die Nationale Wiedergeburt Polens oder die Allpolnische Jugend Randgruppen in der polnischen Gesellschaft. Sie sind laut und gewalttätig. Davon will der „normale Pole“ nichts wissen. Aber die Inhalte tragen viele mit. Antisemitismus ist in Polen salonfähig. Das ist das Problem.“

Pankowski weiß, wovon er redet. Der 22jährige Überflieger hat sich schon früh mit nationalistischen Bewegungen beschäftigt. Am Eaton College in England gehörte einer seiner Mitschüler der antifaschistischen Organisation „Search Light“ an. Pankowski kamen die Erscheinungen des englischen Nationalismus seltsam vertraut vor. Er wollte es genauer wissen, stürzte sich in die historische Literatur Polens und schrieb sein erstes Buch: „Wo der Patriotismus endet. Aus der Geschichte der polnisch-faschistischen Gruppen von 1922 bis 1992“. Inzwischen hat der Student ein zweites Buch vorgelegt, „Neofaschismus in Westeuropa“, und mit anderen Studenten die Zeitschrift Niemals wieder gegründet. Sie hält die verschiedenen Antifa-Gruppen Polens zusammen.

„Eine große Organisation wäre sicher schlagkräftiger. Aber die Gruppen sind politisch zu verschieden. Manche verstehen sich als reine Antifaschisten, andere sind zugleich auch Kommunisten, wieder andere sind religiös ausgerichtet, die nächsten verstehen sich als Anarchisten oder als Alternative. Der lose Zusammenschluß ist in einem solchem Falle der beste.“ Die einzelnen Gruppen, so verschieden sie sind, teilen sich die Arbeit auf. In ganz Polen beobachten sie die bekannten „Fascho-Gruppen“ und notieren alle Anschläge, Überfälle und Prügeleien mit antisemitischem oder fremdenfeindlichem Hintergrund. Alle drei Monate veröffentlichen sie das Grusel-Kalendarium.

Eine entsprechende Statistik, so ergab die Nachfrage der taz, stellt weder die Polizei zusammen noch die Staatsanwaltschaft des Landes oder das Justizministerium. Sie haben auch die Zeitschrift, aus der sie von zahlreichen Straftaten erfahren könnten, nicht abonniert. Die Folge: In Polen gibt es zwar Gesetze wie die Artikel 256 und 257 Strafgesetzbuch, in denen Völkerverhetzung und Verherrlichung des Faschismus verboten und jede Form der Diskriminierung unter Strafe gestellt wird. Doch sie werden nie angewandt. So können in Auschwitz Ultrakatholiken den „rücksichtslosen Krieg“ gegen Juden fordern, ohne daß die Staatsanwaltschaft von sich aus auf die Idee käme, Ermittlungen gegen die Autoren der Flugblätter einzuleiten.

Den Antifa-Gruppen in Polen schlägt meist mehr Mißtrauen entgegen als den Nationalisten. Während die einen als Patrioten gesehen werden, die in der Wahl ihrer Mittel ein wenig übertreiben, sind die anderen „Verräter“ oder, noch schlimmer, „Juden“. In Bydgoszcz entstand die erste „Grupa Anty Nazistowska“ (Anti-Nazi-Gruppe) vor knapp zehn Jahren, dann folgte die „Anty Nazi Front“ in Breslau, die „Antifaschistische Regionalallianz“ in Kattowitz, die „Jugend gegen Rassismus in Europa“ in Warschau. Heute gibt es in fast allen größeren Städten Polens Antifa-Gruppen. Entstanden sind sie zumeist – wie in Bydgoszcz – zur Verteidigung gegen prügelnde Skinheadgruppen oder – wie in Kattowitz – nach dem Mord an einem Sechzehnjährigen.

Die meisten Eltern sind über das Engagement ihrer Kinder eher entsetzt denn begeistert. Zwar fordern auch sie Schutz vor der zunehmenden Gewalt auf der Straße, doch erhoffen sie diesen allein von der Polizei und einem schärferen Strafrecht. „Mein Vater“, erklärt der 21jährige Marek, „sagt mir immer wieder: Was hast du nur mit den Juden und den Homos? Gründe eine Familie und lebe wie ein Mensch. Dabei will ich doch genau das: sicher leben und keine Angst vor Überfällen haben.“

In der Hosentasche trägt er ein Messer. Die Gruppen verfolgen sich gegenseitig. Zu Schlägereien kommt es zwar nur noch selten, da die Antifa-Anhänger vorsichtig geworden sind. Doch wenn einer von ihnen allein angetroffen wird, hat er kaum eine Chance. Alle wissen, daß das Beobachten von Neonazis gefährlich ist. „Manchmal, vor großen Konzerten oder spannenden Fußballspielen, sprechen wir uns ab“, erklärt Rafal Pankowski. „Wenn dann die Telefonkette reißt, wissen wir, daß etwas passiert ist.“ Gegendemonstrationen veranstalten sie nicht mehr: „Zu gefährlich“, ist die einhellige Meinung. „Wir sind zu wenige“, sagt Pankowski. „Da es die moralischen Autoritäten des Landes bei an uns adressierten Grußpostkarten bei einem ermunternden „Machen Sie weiter so!“ belassen, können wir uns öffentlich kaum präsentieren. Wir werden nicht wahrgenommen.“

Der schmächtige junge Mann verweist auf die Zeitschrift Niemals wieder: „Wir sind froh, daß wir immer wieder das Geld für diese Publikation zusammenbekommen. Ohne die Zeitschrift würde kaum jemand erfahren, wie viele Verbrechen in Polen auf das Konto der Rechtsradikalen gehen.“ Gegen die Flut der Neonazi- Presse kommt die Zeitschrift aber kaum an. Eine großer Teil davon ist in Polen salonfähig und wird über die seriöse Warschauer Universitätsbuchhandlung vertrieben. Hier kann der interessierte Laie sich auch mit rassistischen Büchern der Verlage Norton und Fulmen eindecken oder antisemitische Klassiker wie Henry Fords „Der internationale Jude“ erstehen.

Den aufrüttelnden Artikel Pankowskis über die zunehmende „Faschismus-Mode“ an den Universitäten übergingen die polnischen Intellektuellen mit Schweigen. Pankowski hatte in der auflagenstärksten Tageszeitung Polens, der Gazeta Wyborcza, ein Tabu gebrochen und öffentlich gewarnt: „Schon in Kürze werden wir es mit einer gut ausgebildeten, eloquenten und gut organisierten Rechten zu tun haben. Das sind nicht mehr jugendliche Randalierer vom rechten Rand der Gesellschaft. Das sind junge Leute aus ,gutem Hause‘, die ihre politische Karriere gerade erst beginnen.“

Doch es sind keineswegs nur die jungen Leute. Diese fallen zwar mehr auf, doch den geistigen Grund bereiten Pseudohistoriker wie der deutschindische Peter Raina aus Berlin. Vor kurzem hat er ein weiteres Buch zur Verteidigung des notorisch antisemitischen Pfarrers Henryk Jankowski publiziert. Doch auch Marian Krzaklewski, der Vorsitzende der „Wahlaktion Solidarność“ (AWS), hat bereits die Dienste des „Polenfreundes“ in Anspruch genommen und ihm die Herausgabe des Buches „Wir wollen eine Nation mit Zukunft sein“ anvertraut.

Die AWS stellt den größeren Koalitionspartner in der polnischen Regierung. Bekannt geworden ist Peter Raina mit seinen Publikationen zur Kirchengeschichte Polens. Raina genießt das volle Vertrauen der polnischen Bischofskonfernz und darf in den sorgfältig gehüteten Kirchenarchiven forschen. Die antisemitische Zeitung Jetzt Polen läßt ihn in ihrer November-Nummer in einem Interview erklären, daß Polen eine jüdische und damit eine deutsche Gefahr drohe. „Wenn den Juden ihr Eigentum zurückgegeben wird, warum dann nicht auch den Deutschen?“ Pankowski dazu: „Und da wundert man sich, weshalb Skinheads die israelische und deutsche Fahne gemeinsam verbrennen.“