Hauchdünne Mehrheit für Wye-Abkommen

Israels Regierung stimmt nach langen Verzögerungen einem weiteren Teilrückzug der Besatzungstruppen aus dem Westjordanland zu. Doch zuvor sollen die Palästinenser erneut ihre Charta ändern  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

Das lange Zögern des großen Zauderers war nicht ohne Grund. Die Mehrheit, die Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Mittwoch abend im Kabinett für das Wye-Abkommen erhielt, fiel noch knapper aus als erwartet. Acht Minister, einschließlich seiner selbst, votierten für die Ratifizierung, vier dagegen. Nur weil sich fünf weitere, darunter entschiedene Gegner eines weiteren israelischen Teilrückzugs aus dem Westjordanland, enthielten, wurde das Abkommen überhaupt angenommen.

Um die Gegner ins Boot zu holen, mußte Netanjahu der Rechten Versprechungen machen, die im Wye-Abkommen nicht enthalten sind. Die Bedingungen, die das Kabinett gleich mit verabschiedete, lauten: Der Palästinensische Nationalrat muß erneut per Abstimmung die Charta der PLO annullieren. Der dritte Teilrückzug darf nicht mehr als ein Prozent des Westjordanlandes betreffen. In jeder Phase des dreimonatigen Rückzugs muß das Kabinett erneut entscheiden, ob die palästinensische Seite „ihre Verpflichtungen“ erfüllt hat. Und sollte Palästinenserpräsident Jassir Arafat schließlich wie angekündigt im Mai 1999 einen palästinensischen Staat ausrufen, werden die israelisch kontrollierten Teile des Westjordanlandes annektiert.

Netanjahu warf den Siedlern noch einen besonderen Leckerbissen hin. Die Regierung gab die Ausschreibung für den Bau von Wohnungen auf Har Homa, dem arabischen Dschabal Abu Ghneim, im Süden Jerusalems frei. Bislang hatte die israelische Regierung mit diesem letzten Schritt vor Baubeginn der Siedlung gezögert – vor allem auf Druck der USA.

Nach Berichten aus Ramallah im Westjordanland soll Arafat sein breitestes Lächeln aufgesetzt haben, als er von der Ratifizierung des Abkommens erfuhr. Gegenüber israelischen Journalisten erklärte er sich sogar bereit, eine erneute Abstimmung über die PLO- Charta zu akzeptieren. Da nicht nur der Nationalrat, sondern auch „relevante gesellschaftliche Gruppen“ und das palästinensische Parlament an der Mammutveranstaltung am 14. Dezember teilnehmen werden, kann Jassir Arafat sich einer breiten Zustimmung sicher sein. Überdies dürfte die angekündigte Präsenz von US-Präsident Bill Clinton auf der Veranstaltung die Gegner in Schach halten. Vor dem Wye-Abkommen lag die Zustimmung der Palästinenser für ihren Präsidenten laut Umfragen bei gerade noch 38 Prozent. Das bedeutet einen Ansehensverlust von fast 50 Prozent in den vergangenen fünf Jahren. Arafat gab sich äußerst konziliant. So erklärte er zu der „angedrohten“ Staatsproklamation im Mai kommenden Jahres, daß er auch offen sei „für andere Ideen“.

Weniger gewogen zeigte sich dagegen Arafats Verhandlungsführer Saib Erekat. Die israelische Ratifizierung komme zwei Wochen zu spät, und die gestellten Bedingungen seien absolut inakzeptabel. „Wir hoffen nur, daß jetzt auch die Umsetzung folgt, denn das ist die Grundlage des Friedensprozesses“, sagte Ereikat im palästinensischen Rundfunk.

Mehrere tausend Siedler demonstrierten während der Beratungen des Kabinetts auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv gegen das Wye-Abkommen. Der zentrale Slogan lautete: „Treu zu Groß-Israel“. Eine Sprecherin der Siedler sagte: „Die Landkarte ist verheerend und wird viele unserer Gemeinden gefährden.“ Gestern beriet das sogenannte Sicherheitskabinett über den Bau von zwölf neuen Umgehungsstraßen für die israelischen Siedlungen. Dafür sollen Tausende Hektar palästinensischen Landes enteignet werden. Kommentar Seite 12