■ Was die Vorlesungsverzeichnisse in diesem Semester zu bieten haben
: Vom Erdstrich schön gebildeter Völker

Studenten sind Frühaufsteher. Montag früh um acht drängen sie vor die Portale der ehrwürdigen Lehranstalt, und kaum ist das akademische Viertel verstrichen, beschäftigen sie sich mit der Struktur und Phylogenie der Knochenfische. Einige jedenfalls. Andere erforschen die Spezielle Wiederkäuernährung in den Tropen. Die mentalen Voraussetzungen werden nachgeliefert: An der Landwirtschaftlich-gärtnerischen Fakultät können die Studiosi Tiefenökologische Selbsterfahrung sammeln.

An der Universität Hannover besteht sogar die Möglichkeit, sich über Einsatzmöglichkeiten von Computerprogrammen im Sachunterricht kundig zu machen, doch Achtung: Dieses Seminar setzt Schreib- und Lesefertigkeiten voraus, wie sie Ende des 2. Schuljahres erwartet werden können. Hegelhohe Zulassungshürden muß also nehmen, wer zur geistigen Elite der beliebten niedersächsischen Hauptstadt gehören möchte. Berliner haben es leichter: An der Humboldt-Universität (HUB) zum Beispiel reicht eine abgebrochene Ausbildung in Creative Writing vollkommen aus. Das führt bisweilen zu Seminartiteln, die gesammelt ein feingewobenes, wenn auch reimfreies Lyrikbändchen ergeben würden: Wer zum Beispiel würde sie nicht gerne antreten, die Reise Vom Erdstrich schön gebildeter Völker zu Winnetou und Butterfly. Auf diesem Trip erfahren die jungen Schöngeister alles über die Stereotypen fremder Kulturen in der deutschen Geschichte, und zwar von Frau Edith Broszinsky- Schwabe.

Nehmen wir diese Dame zum Anlaß für einen kleinen Exkurs: Welch ein Privileg für Humboldt- Studenten, sich von Parto Teherani-Krönner, Lehrkraft für Geschlechterstudien in den Wissenschaftsschwerpunkt 1 am Beispiel der Landwirtschaft einführen zu lassen. Nicht minder glücklich schätzen sich an der Ostberliner Hochschule die Mediziner: Über die Hameatologisch-onkologische Poliklinik referiert niemand geringeres als Ursula Schulte-Overberg- Schmidt. Allerdings legen die Hannoveraner abermals noch strengere Maßstäbe an: Auskunft über schülerorientierte Unterrichtsstunden in der Grundschule erteilt Wulf-Dieter Schmidt-Wulffen. Wollen die Lehramtsanwärter auf seinen Rat mit den lieben Kleinen ins Museum, steht Renate Dittscheid-Bartolosch (RDB) Rede und Antwort: Sie informiert über Museumspädagogische Konzepte und die Zusammenarbeit von Museum und Schule.

RDB muß fachlich sehr versiert sein, denn in Berlin sind für diese Achillesferse der Primarstufenpädagogik gleich drei hochqualifizierte Lehrkräfte abgeordnet. Deren Namen sind leider öder Durchschnitt, doch zum Ausgleich haben die Wissenschaftler lange am Titel ihres Seminares gefeilt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Sammeln, Zeigen, Kommentieren (Einführung in die Museumspädagogik); eine Trilogie – II. Teil: Die Kunst des Zeigens). Womit wir endlich wieder beim Thema Creative Writing für Dozenten wären. Nein, Entschuldigung, es muß heißen: Writing for Staatsexamenskandidat(innen)en. Wer fertig gewritten hat, kann sich schon mal an die Übersetzung machen. Alles weitere im HUB-Seminar Advanced Translation for Staatsexamenskandidat(innen)en.

Zweifelhaft auch das Angebot derTechnischen Universität Berlin – eine Zukunftswerkstatt: Umweltzerstörung. Und, noch brisanter: Sexueller Mißbrauch: Vertiefungsseminar. Aufbauend auf den Einführungskurs werden Sensibilisierung und Wahrnehmung vertieft, Theorie und Praxis der Gesprächsführung vermittelt. Gegen Schluß wird's dann selbst sprachlich strafbar: Informationen zur Rechtslage Sicherheit gegeben. Solchen Pädagogen hilft wahrscheinlich nur noch Lego – ein Hypertext-Workshop.Holger Wicht