■ Die Debatte um die Santer-Nachfolge beschädigt Lafontaine
: Ein Minister auf Abruf

Dem SPD-Parteichef und Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine weht ein scharfer Wind um die Ohren. Die Diskussion um seine Ambitionen als EU- Präsident bewirkt vor allem eins: Der Parteivorsitzende der SPD wird beschädigt. Zwar ist der Brüsseler Chefsessel ein erstrebenswerter Posten, und es ist nicht zuviel gesagt, daß Lafontaine das Amt zusagen würde. Aber angenommen, Lafontaine strebt wirklich die Nachfolge Jaques Santers an, schadet ihm eine frühzeitige Diskussion mehr, als daß sie ihm nützt. Die Gegner können sich rechtzeitig in Stellung bringen, und erfahrungsgemäß haben solche Kandidaten bessere Chancen, die nicht öffentlichen Personaldiskussionen ausgesetzt sind.

Lafontaine wird nicht nur als Kandidat, sondern auch in seiner Rolle als amtierender Finanzminister beschädigt. Ein Minister auf Abruf verliert an Autorität. Dabei weiß kaum jemand, ob Lafontaine tatsächlich Ambitionen auf den Brüsseler Chefsessel hat. Verläßliche Informationen gibt es nicht.

Unabhängig davon, ob die Gerüchte stimmen oder nicht, sind sie aber ein politischer Vorgang an sich. Sie können sich nur deshalb mit solcher Wucht entfalten, weil sie auf einen fruchtbaren Boden fallen. Und der besteht aus der weitverbreiteten Stimmung: Lafontaine muß weg! Für viele wäre der Wechsel des Parteichefs nach Brüssel die Lösung für vermeintliche Probleme. Schließlich wird der angebliche Fehlstart der rot-grünen Regierung häufig am Finanzminister festgemacht. Viele fühlen sich getäuscht, weil sie Schröder gewählt und Lafontaine bekommen haben. Sie empfänden es als eine Erleichterung, wenn der Saarländer seinen Hut nähme. Schröder könnte dann Parteichef werden und hätte die Zügel fest in der Hand. Auch in Teilen der SPD besteht ein Interesse, Lafontaine loszuwerden, weil sonst die Diskussionen um den Richtungsstreit der SPD kein Ende nehmen. Aber das ist eine verkürzte Sicht der Dinge.

Schröder hat im Laufe des Wahlkampfes viele Positionen von Lafontaine übernommen, sei es die soziale Ausrichtung der Partei, die sich in der Forderung nach der Rücknahme der Lohnfortzahlung oder in der Orientierung an einer europäischen Beschäftigungspolitik ausdrückt. Wer behauptet, das sei nur unter Druck und wider besseres Wissen geschehen, der hält einem Kanzler Schröder zuviel zugute. Denn was ist ein Kanzler wert, der sich von seinem Finanzminister bestimmen läßt? Markus Franz