Tarifierung von Betonköpfen Von Joachim Frisch

Mögen manche Pressekonferenzen so nötig sein wie ein Grindmal, es finden sich doch meistens rudelweise Journalisten ein, jedenfalls dann, wenn die Einladung mit einem reichhaltigen Buffet lockt. Neulich baten Auto Bild und die Direktversicherung Sicher Direct (Direktversicherer sind semihumanoide Wesen, welche zwar Stimmen, jedoch keine Gesichter haben) in das noble Park Hyatt im Zentrum Hamburgs, um eine repräsentative Studie mit dem Titel „Vorurteile und Klischees auf Deutschlands Straße. Von Autofahrern mit Hut, Pampersschleudern, blonden Frauen und behäkelten Klorollen“ vorzustellen.

Der Gedanke an Gänsetopfleberpastetchen, Trüffelsorbet und Wachtelschaschlik ließ mich vollends volens zum Fachjournalisten für Auto, Motor und Verkehr mutieren, zumal endlich Antworten auf drängende Fragen anstanden, die so manche Nacht aufs heftigste im Goldenen Anker ergebnislos diskutiert wurden: Fahren die größten Arschlöcher Benz oder BMW? Sind die Porschefahrer die schlimmsten Drängler auf der Autobahn, oder müssen sie gar nicht drängeln, weil der deutsche Duckmäuser im Opel Astra instinktiv nach rechts zieht, wenn er im Rückspiegel ein porscheähnliches Mobil aufziehen sieht? Muß man die Pensionsgrenze überschritten haben, um einen Mercedes Coupé fahren zu dürfen?

Nur die erste Frage wurde beantwortet, allerdings nicht auf der Pressekonferenz, sondern schon bei der Anfahrt. Eine zwielichtige Gestalt im teuren Benz, gedungen von der Automafia, wollte mich samt Fahrrad niederwalzen, fraglos um zu verhindern, daß ich die Wahrheit über den gemeinen Benzfahrer ans Licht der Öffentlichkeit zerre. Nur mit einem sensationellen Reflex konnte ich dem feigen Attentat entkommen.

So wurde ich gewahr, wie die Versicherer von Sicher Direct scheinheilig versicherten, daß sie „wichtige Denkanstöße zu zentralen Verkehrsfragen in die Gesellschaft tragen ...“, „die Öffentlichkeit noch stärker für ein verantwortungsbewußtes Verhalten im Straßenverkehr sensibilisieren“ und schließlich zeigen wollten, „daß sich ein vorurteilsfreies, von Fairneß und Rücksicht geprägtes Verhalten auszahlt“. Eine Motorradsegnung durch den Verkehrskasper könnte nicht verlogener sein.

Dann gab ein Marktforscher Kostproben demographischer Kleinkunst zum besten und wies nach, daß Betonköpfe Ford fahren und SPW wählen. Warum eine Versicherung das wissen wolle, wollte ein aufgeweckter Nachwuchsautojournalist wissen. Weil „bis in die neueste Zeit hinein das Thema Vorurteile unter verkehrssoziologischen Gesichtspunkten nur schwach und eher am Rande von einschlägigen Untersuchungen berührt wird“, heuchelte ein Sicher-Direct-Manager, der aussah wie ein Scientologe auf Alkoholentzug. Das alles war dermaßen diplomandenhaft, daß ich mich im Oberseminar Verkehrspsychologie an der Uni wähnte. Dann schob der Scientologe beiläufig den wahren Grund nach: Zwar wolle man nicht schon morgen die „Betonköpfigkeit“ in die individuelle Tarifierung aufnehmen, doch man denke bereits an übermorgen.

Das Buffet bot zwar keine Kaldaunenbrüstchen, doch die Lachsfilets und das Erdbeersorbet waren nicht zu verachten. Kein Vergleich zur Uni-Mensa.