Der Wille zur Eleganz

Vom „achtlosen Flüstern“ zur „schnellen Liebe“: Mit seiner Best-of-Gesamtschau empfiehlt sich George Michael definitiv als Frank-Sinatra-Nachfolger für das Jahr 2015  ■ Von Tobias Rapp

Ehemalige Teenage-Idole haben es nicht einfach. Zu ihren Teenie-Pop-Hochzeiten verkaufen sie Platten wie nichts Gutes, aber keiner nimmt sie ernst. Die Zeit unmittelbar nach dem Teenieruhm interessiert dann noch mal alle, vor allem die älter gewordenen Teenies, doch dann? Ohne Ochsentour-Nachweis wird selten und ungern ein Ernstnehm- Paß ausgestellt.

Die Pet Shop Boys mußten erst Housemusik entdecken, um zu höheren popkulturellen Weihen aufzusteigen. Und selbst bei Depeche Mode mußte der Sänger vor lauter Größenwahn erst verkünden, Kurt Cobain habe sich erschossen, um ihm die Show zu stehlen, um der Band zu ihrem Recht zu verhelfen. George Michael mußte ohne Unterwäsche beim Onanieren an einem öffentlichen Ort erwischt werden – jetzt kann er endlich Anspruch auf den Platz erheben, der ihm gebührt: den vakanten Posten als Frank Sinatra für das Jahr 2015.

Eigentlich hätte George Michael dem ganzen Ärger schon vor langer Zeit entgehen und sich nach „Last Christmas“ zur Ruhe setzen können: Solange es Weihnachten und Radios gibt, wäre ihm ein äußerst komfortables Auskommen sicher gewesen. Bis ans Ende seiner Tage hätte er im weißen Anzug am Swimming Pool herumsitzen und bunte Cocktails trinken können. Doch er beließ es nicht dabei, und auch das fröhliche Vorstadtstechertum mit Dreitagebart, Goldkette und leichtem Einschlag ins Romantische der ersten beiden Soloplatten ließ er hinter sich.

Fünf Jahre lang kam gar nichts. Dann kam „Older“, die Platte, die nicht zuletzt Hommage an seinen verstorbenen Lebensgefährten war und in der sich George Michael als derjenige präsentierte, der alles gesehen hat und nun so sehr übersättigt ist, daß ihm nichts mehr bleibt, als den anderen zuzuschauen, die Fernbedienung zu halten und mit Sonnenbrille unter die Dusche gehen. Das war eine Selbstinszenierung des Starseins, wie sie sonst nur Madonna zelebrierte.

Doch im Unterschied zu Madonna, die ihre Imagewechsel immer als Brüche abfeierte, galt bei George Michael eher der gleitende Übergang, wobei all die verschiedenen Bilder zusammengehalten werden durch den Willen zur Eleganz. Eine Eleganz, die nicht einmal durch ein zehn mal zwanzig Meter großes Porträtfoto an der Fassade eines Kaufhauses in Neukölln zu beschädigen war, das für sein letztes Album warb und das von Woche zu Woche immer grauer wurde, wahrscheinlich weil irgend jemand vergessen hatte, es abzunehmen.

Die zu den jeweiligen Songs gehörenden Anzüge kann man im Booklet der Best-of-Platte bewundern. Vom mattglänzenden Dreiteiler zu „Star People“ bis zu den Brusthaaren von „Father Figure“. Und wer geht für Zeilen wie „I'm never gonna dance again, guilty feelings got no rhythm“ („Careless Whisper“) oder „why don't we make a little room in my BMW, searching for some peace of mind – I do believe that we are practicing the same religion“ („Fastlove“) nicht auf alle Viere? Natürlich ist das Kitsch, aber so überlebensgroß, daß man lange, einsame Stunden damit zubringen kann, sich danach zu strecken.

Da gehen auch so Peinlichkeiten wie Duette mit Elton John oder Queen als das durch, was sie sind: himmelschreiend, aber cool. Und diese Eleganz, mit ihren diversen Ausläufern in die Gegenden Dekadenz, Glamour, teure Anzüge oder edle Möbel, regiert auch die Musik. Wo immer sie musikalisch gestreift wird, ist George Michael mit von der Party. Discoanleihen, Bläsersätze und lateinamerikanische Rhythmen hier und da – wer die neuesten und am allerschärfsten geschnittenen Breakbeats sucht, um beruhigt schlafen zu können, wird bei George Michael keinen Seelenfrieden finden.

Doch während die Brüche bei Madonna immer relativ glatt verlaufen, muß sich George Michael mit den Unwägbarkeiten seiner Größe herumschlagen. Und wenn es kalifornische Richter und Polizisten sind.

Wenn ein so hochartifizielles Selbstbild wie das George Michaels auf einmal nur noch ein ganz gewöhnlicher Körper wird, einer, der ein Nikotinpflaster auf dem Hintern hat und vor Gericht erscheinen muß, also auf einmal die Realität in die Simulation hereinbricht, heißt es, sich dazu verhalten, ohne an Eleganz und Kontrolle zu verlieren.

Und so springt George Michael aus den dekadenten Zukunfts- Zwanzigern von „Older“ in die gefährdeten Gegenwartssiebziger und kreiert in „Outside“, der Single zum Best-of-Album, eine Mischung aus schwedischer Porno- Ästhetik und kalifornischem Überwachungsstaat. Alle wollen Sex in Fahrstühlen, auf Lastwagenpritschen oder Hubschrauberlandeplätzen, alle werden verhaftet – obwohl die Polizisten sich selbst küssen. Dazwischen schwenkt George Michael in einer Polizeiuniform selbst den Schlagstock, wo er aufs Klo geht, werden Entlüftungsrohr-Enden zu Discokugeln.

Ladies & Gentlemen: The best of George Michael (Epic/Sony)