Kommentar
: Zwangsaufenthalt

■ Großbritannien: Chiles Ex-Diktator Pinochet fährt nicht nach Hause

Der britische Innenminister Jack Straw läßt Augusto Pinochet nicht nach Hause. Recht so. Wer nicht zu alt ist, um in Chile als Senator auf Lebenszeit vereidigt zu werden, sollte auch in der Lage sein, ein Auslieferungsverfahren durchzustehen und sich für seine Verbrechen zu verantworten.

Es gibt also keine humanitären Gründe, um Pinochet in die Heimat zu entlassen. Hätte Straw Pinochet ziehen lassen, es wäre ein politisches Zugeständnis gewesen, kein Gnadenakt, ein Einknicken vor der chilenischen Rechten und ihren britischen Freunden, die seit der Verhaftung Pinochets Zeter und Mordio schreien. Es ehrt Straw, daß er sich dem verweigert hat.

Zumindest in den nächsten Monaten also wird Pinochet sich im Ausland mit juristischen Verfahren herumzuplagen haben, wird die spanische Justiz ihre Prozesse vorbereiten und dazu weitere Zeugenaussagen und Materialien heranschaffen, wird die chilenische Öffentlichkeit nicht darum herumkommen, sich über ihre Art der Vergangenheitsbewältigung weiter Gedanken zu machen. Das ist gut so. Denn die Tatsache, daß Pinochet überhaupt irgendwo vor Gericht steht, verschafft den Opfern und ihren Angehörigen eine gewisse Genugtuung, verändert aber an sich noch nicht das gespaltene Verhältnis, das die chilenische Gesellschaft zu ihrer Vergangenheit entwickelt hat. Juristische und politische Aufarbeitung schienen nicht möglich, ohne Regierungssystem und wirtschaftliche Prosperität in Frage zu stellen. Auch unter einer zivilen Regierung, der etliche ehemalige Verfolgte der Militärdiktatur angehören, bestand so das Weltbild der Diktatur fort, letztlich legitim und zum Wohle des Landes gehandelt zu haben.

Die Entscheidung des britischen Innenministers hat noch einmal bestätigt, daß das Ausland nicht mehr bereit ist, diese Sicht zu teilen. Das sollte Chiles Demokraten ermutigen. Denn erst wenn die zivilen Regierungen aufhören, sich vor jedem Fingerzeig der Militärs angstvoll zu ducken, wird sich auch eine politische Konstellation ergeben können, die zu einer wahrhaften Demokratisierung in der Lage ist, eine Verfassungsreform verabschiedet und so wirklich das Ende der Militärherrschaft einleitet. Das Verfahren gegen Pinochet im Ausland kann so einen Prozeß nicht ersetzen – es kann ihn anschieben. Bernd Pickert