Solidarität etc.
: Mit langem Atem

■ Trauerarbeit: Ein Berliner Abend für verfolgte iranische Autoren

Solidarität ist, wenn man's trotzdem macht. Wenn man sich nicht davon abschrecken läßt, daß alle Petitionen längst geschrieben, alle Appelle verlesen und alle Versammlungen abgehalten sind. Wenn man, im Bewußtsein, nur wenig tun zu können, wenigstens das Wenige tut und dazu die beschwörenden Worte spricht: Möge von dieser Veranstaltung ein Signal ausgehen... Sonst sagt bestimmt bald wieder jemand: Warum schweigen eigentlich die Intellektuellen?

Der Anlaß ist ernst genug: Innerhalb weniger Wochen wurden im Iran sechs Intellektuelle ermordet, oppositionelle Schriftsteller, Journalisten, Verleger. Die meisten Opfer gehörten dem verbotenen Schriftstellerverband Irans an. So waren es deutsche und iranische Autoren, die sich am Mittwoch abend im Berliner Haus der Kulturen der Welt versammelten, um Texte iranischer Schriftsteller zu lesen – ein Abend zwischen Trauerstunde und Kulturprogramm. Unter ihnen: der mit viel Solidaritätsbeifall bedachte Faradsch Sarkuhi, PEN-Präsident Christoph Hein, Klaus Schlesinger, Pieke Biermann, F.C. Delius und Daniela Dahn. Es wirkt immer ein bißchen seltsam, wenn Schriftsteller nur der Schriftsteller gedenken und all die anderen Toten mit keinem Wort erwähnen, und doch hat diese berufsständige Solidarität ihre Logik. Denn der Mord an Intellektuellen zielt nicht nur auf die Auslöschung einer unbequemen Person, sondern gilt dem Liberalismus des Denkens und ganz allgemein der Meinungsfreiheit. Christoph Hein begründete die Pflicht zur Solidarität darüber hinaus aus der deutschen Geschichte und dankte all den Ländern, die zwischen 1933 und 1945 deutschen Autoren Exil gewährten.

Faradsch Sarkuhi – leibhaftiger Beleg für die Möglichkeit der Wirksamkeit von Solidarität – beklagte das in der deutschen Öffentlichkeit seit Jahren vorherrschende Erklärungsmuster, wonach die Morde im Iran immer wieder dem rechten Flügel angelastet werden, um so weiter Geschäfte mit anderen, fortschrittlicheren Teilen machen zu können.

Die jüngsten Morde, zu denen sich der iranische Geheimdienst bekannte, zeigten jedoch, daß das System als Ganzes dafür haftbar zu machen sei. Sarkuhi bedauerte, bisher kein klares Wort des deutschen Außenministers gehört zu haben. Ähnlich äußerte sich auch der Berliner Grünen-Politiker Wolfgang Wieland: Die rot-grüne Regierung müsse jetzt zeigen, wie ernst sie es mit den Menschenrechten meine und daß es bei ihr „keine Kinkeleien mehr“ gebe.

„Solidarität braucht einen langen Atem“, meinte Olav Münzberg von der veranstaltenden Neuen Gesellschaft für Literatur. Wohl wahr. Und außerdem viel Sitzfleisch. Dreieinhalb Stunden dauerten die Lesungen und Traueransprachen, so daß das solidarische Publikum am Ende mit dem schönen Gefühl, etwas geleistet zu haben, nach Hause gehen konnte. Man ist ja schließlich nicht zum Vergnügen hier. Genuß, so scheint es, verträgt sich nicht mit dem Willen zur Verbesserung der Menschheit. Trotzdem war man dankbar über den Auftritt von Zabieh Abbasi, der Melodien aus 14 Ländern zum transnationalen Potpourri auf der Mandoline verarbeitete. Am Schluß aber wurde dann doch noch ein richtiger Appell an die Bundesregierung per Akklamation verabschiedet. Jörg Magenau