Der Skandal als Vorwand für eine andere Politik

■ Spanien glaubt, daß die Affäre um Kommissar Marin anderen Zwecken dient

Der ins Kreuzfeuer geratene Manuel Marin, zuständig für die Beziehungen der Union zu den Mittelmeerländern und die Entwicklungshilfe Lateinamerikas, gilt in Spanien als einer der erfahrensten Europapolitiker. Ab 1982 war er als Staatssekretär für Europaangelegenheiten tätig und federführend an den Beitrittsverhandlungen Spaniens zur EG beteiligt. 1986 ging Marin als Kommissar nach Brüssel.

In den letzten Tagen hat sich Marin mehrmals zu den Vorwürfen zu Wort gemeldet, er sei für die Verschwendung von Entwicklungshilfegeldern und Vetternwirtschaft in seinem Ressort verantwortlich: Dabei zeigte der EU- Kommissar Ansätze von Selbstkritik und gab zu, „die Kommission hat sich vielleicht mehr vorgenommen, als sie bewältigen konnte“.

Auf die Frage, warum gerade er Ziel der Attacken geworden sei, antwortete Marin: „Ich bin der am längsten dienende Kommissar, arbeite seit 14 Jahren in dieser Position und habe mich immer für die wirtschaftliche und soziale Angleichung, die Strukturfonds und die Mittelmeerpolitik eingesetzt. Das sind Bereiche, die einige – und das ist kein Geheimnis – liebend gern streichen möchten.“

Die spanischen Medien berichten auffallend zurückhaltend vom Skandal in Brüssel. Sie stellen Marin als wichtigsten Fürsprecher der Interessen Lateinamerikas und der Entwicklungsländer in der EU- Kommission dar. In einem Leitartikel war zu lesen, daß es im Interesse der nettozahlenden Mitgliedsländer – also Deutschland, die Beneluxstaaten, Schweden, Österreich, Frankreich und Italien – sei, „die Kommission als Verbündeten Spaniens im Vorfeld der Verhandlungen über den zukünftigen EU- Finanzschlüssel zu schwächen“. Wenn überhaupt, könne man Marin fehlende Kontrolle oder Vetternwirtschaft bei der Bestzung von einigen Posten vorwerfen, niemals aber persönliche Bereicherung, meinte El Pais.

Während Mitteleuropa die Osterweiterung als vorrangiges Thema betrachtet, interessiert sich Spanien mehr für die Mittelmeerregion und Lateinamerika. Die EU-Mittelmeerkonferenzen und die iberoamerikanischen Gipfeltreffen, bei denen Spanien als Fürsprecher der Länder Lateinamerikas auftritt, sind eng mit der Person Marins verbunden.

Einige Kommentatoren glauben auch an ein Interesse der deutschen EU-Präsidentschaft an der Affäre – sie wird als „Aufwärmrunde“ für die bevorstehende Debatte um die EU-Finanzierung bezeichnet: Wenn es gelänge, die Kommission als korrupt darzustellen, so eine Verschwörungstheorie, werden die reichen EU-Mitglieder das Vorhaben um so leichter verwirklichen können, ihre Beitragszahlungen zu verringern und Fonds für arme Südeuropäer zu kürzen.

Die Angriffe gegen den spanischen EU-Kommissar seien also, so der Tenor der Verteidiger Marins, nur eine „Vorwand“: Tatsächlich solle Spanien in seiner Rolle als Sprecher der Nettoempfänger und Repräsentant der südeuropäischen Interessen vor der EU geschwächt werden.

Marin selbst will konkret kein Land nennen, das die Affäre ausgelöst hat. Er sieht sich als „Opfer einiger politischer Gruppen, die diese Debatte als Argument in der bevorstehenden Finanzdiskussion einsetzen wollen“. Josef Manola, Madrid