Sex, Lies, Audiotapes

Wer beichtet, wird geheilt: Der spanische Wettbewerbsbeitrag „Entre las piernas“ verspricht viel, vielleicht sogar zuviel  ■ Von Cristina Nord

Zahlreiche Zeichen irrlichtern durch diesen Film. Da taucht der Schriftzug Ipanema bald hier auf, bald dort, die Zahl 21 ringt gleich in dreifacher Konstellation um Bedeutung, und auch der Vogel Strauß spielt eine Rolle. Welche, das läßt sich freilich nicht sagen, und damit ist man auch schon angelangt bei dem großen Problem, das „Entre las piernas“ („Zwischen deinen Beinen“), der erste von zwei spanischen Wettbewerbsbeiträgen, mit sich rumschleppt. Regisseur Manuel Gómez Pereira will ganz viele Geschichten auf einmal erzählen, will möglichst viele Handlungsfäden spinnen – natürlich vor allem solche, die in die Irre führen. Womit er sich leider rettungslos im eigenen Netz verstrickt.

Dabei geht es ganz vielversprechend los: mit einem Schachtelsystem aus Rückblenden, das zwar komplex, aber durchaus durchschaubar ist. Gómez Pereira springt zwischen Filmvergangenheit und Filmgegenwart, öffnet mit fast jeder Figur, die er einführt, ein neues Fenster, das den Blick freigibt auf Erinnerungen oder Phantasien. Was erlebt, was erfunden wurde, läßt sich bald schon nicht mehr mit Gewißheit sagen; die Akteure entwerfen ihre eigenen Geschichten, als wollten sie mit der Regie in einen Wettstreit treten.

Als Drehscheibe für die Rückblenden dienen die Sitzungen einer Selbsthilfegruppe. Die „Anonymen Sexsüchtigen“, unter ihnen der Drehbuchautor Javier und die Radiomitarbeiterin Miranda, versuchen, dem zerstörerischen Drang nach immer neuen sexuellen Abenteuern mit den Mitteln der öffentlichen Konfession beizukommen: Geheilt wird, wer beichtet. Deswegen müssen denn auch alle Therapiewilligen laut und deutlich von den Stationen ihrer Sucht erzählen, und außerdem vor allen anderen bekennen: „Ich bin krank. Ich bin sexsüchtig. Ich brauche Hilfe.“

Für Miranda und Javier führt die Selbstbezichtigung freilich nicht auf den Pfad der Tugend, sondern – nach einigen Umwegen – auf den Rücksitz eines herrenlosen Autos. Sexsüchtig bleibt eben sexsüchtig, da hilft auch das viele Beichten nicht, könnte man denken und gespannt abwarten, wie es mit den beiden weitergeht. Doch weit gefehlt: Als eine Leiche in dem Wagen gefunden wird, in dem Miranda und Javier übereinander hergefallen sind, erledigt sich die Sache mit den ungezügelten Trieben fast wie von Zauberhand.

Nachdem etwa die Hälfte des Films verstrichen ist, verdrängt ein kriminalistischer Erzählstrang die Frage, ob Miranda und Javier einander Rettung oder Verderben sind. Plötzlich geht es um kompromittierende Tonbänder (Achtung: sexuelle Phantasien im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit!), um eine geheimnisvolle Frau namens Azucena, um ein Duell zwischen Geschichtenerzählern und mindestens drei Ehedramen gleichzeitig. „Das paßt alles zusammen“, sagt der Kriminologe, nachdem der Mordfall scheinbar aufgeklärt ist. Er täuscht sich so sehr, wie Gómez Pereira die Kontrolle über seine zahlreichen Erzählstränge verloren hat.

Spanien, 115 Min. Regie: Manuel Gómez Pereira, mit Victoria Abril, Javier Bardem, Carmelo Gómez