Lafontaine will wiederkommen

In der SPD wächst der Unmut über das Hü und Hott der Regierungsarbeit. Viele fragen sich, ob nicht Parteichef Lafontaine die Zügel mehr in die Hand nehmen muß  ■ Aus Bonn Markus Franz

Mit rotem Kopf stürmte SPD- Parteichef Oskar Lafontaine am Dienstag abend in die Bonner Vertretung der niedersächsischen Landesregierung zum Treffen mit linken Bundestagsabgeordneten. Es sei einiges falsch gelaufen, sagte Lafontaine, der geladen war bis in die Haarspitzen, heute sei er in der Stimmung, das auszusprechen.

Das Machtverhältnis zwischen Bundeskanzler Schröder und Parteichef Lafontaine schien geklärt. Schröder hatte sich zum Chef gemausert, Lafontaine hatte genug mit seinem Finanzministerium zu tun. Durch die Pannen der jüngsten Zeit könnte die Machtfrage aber neu aufgeworfen werden. In der Fraktion wird bereits darüber spekuliert, ob Lafontaine das Amt des Finanzministers aufgeben werde, um sich besser auf seine Aufgabe als Parteivorsitzender konzentrieren zu können.

Der interne Unmut über die Darstellung der SPD nimmt zu. Die Partei ist entsetzt über das Hü und Hott, das die Regierungsarbeit prägt. „Wir leiden alle darunter, daß Themen unprofessionell behandelt werden“, sagt ein Abgeordneter. Es habe sich inzwischen ein Grundmuster herausgestellt: „Erst wird zu einem Thema irgendwas in die Welt gesetzt, dagegen gibt es Widerstand, dann kommen die sachlichen Einwände, dann die übergeordneten Einwände, wie bei der Ökosteuer aus der EU, dann wird nachgebessert.“ In erster Linie wird das Kanzleramt dafür verantwortlich gemacht. Immer mehr Abgeordnete fragen sich, ob nicht Parteichef Lafontaine die Zügel mehr in die Hand nehmen muß. Lafontaine ist aber unsicher geworden. Seine Rede vor den Parteilinken begann er damit, sich für die Ablösung von Rudolf Scharping als Fraktionschef und den Rückzug von Jost Stollmann zu verteidigen.

„Wir waren irritiert“, sagt ein Abgeordneter, „daß Oskar die alten Sachen wieder aufgewärmt hat.“ Lafontaine, der unumstrittene Macher des Wahlsieges, der „größte Parteivorsitzende seit Willy Brandt“ (Schröder), fühlt sich offenbar unter Rechtfertigungsdruck. „Wenn ich nur aus der Zeitung erfahre, wie der Atomausstieg läuft“, sagte er vor den linken Abgeordneten, „ist es mir nicht möglich, eine klare Politik vorzugeben.“ Und fügte in bezug auf das Kanzleramt an: Langsam sei eine Grenze erreicht. Beifall von den Abgeordneten.

Beifall erhielt er auch, als er die Ökosteuer kritisierte, weil sie keinen Anreiz zum Energiesparen bringe, und sich gegen die geplante einheitliche Unternehmenssteuer in Höhe von 35 Prozent aussprach. Aber die Zuhörer staunten auch. Läuft also auch eine so wichtige Entscheidung wie die über die Unternehmenssteuer gegen den Willen des Parteichefs? Ist Lafontaine dermaßen einflußlos geworden?

Schon seit einiger Zeit, heißt es, überlege Lafontaine, welche Truppen er hinter sich scharen könne. Beim Treffen mit den Parteilinken kündigte er, anders bei früheren Zusammenkünften, an, bald wiederkommen zu wollen. Ein Zeichen dafür, daß er Unterstützung braucht?

Am Montag hatte Lafontaine versucht, als Parteichef Profil zu gewinnen. Zu diesem Zeitpunkt völlig überraschend, verkündete er, die Regierung werde beim Thema Staatsbürgerschaft Korrekturen vornehmen. Am Abend zuvor hatten der Bundesgeschäftsführer Schreiner sowie der Fraktionschef Struck noch das Gegenteil behauptet. Auch am Montag nachmittag, in einer emotionalen Fraktionssitzung, versicherte Struck den aufgebrachten Abgeordneten, daß die SPD zu ihrer Reform beim Staatsangehörigkeitsrecht stehen werde.

Am Mittwoch holte sich der Bundeskanzler die Herrschaft über das Thema zurück. Per Interview in der Süddeutschen Zeitung. Nicht nur, daß Schröder die doppelte Staatsbürgerschaft nun nur noch mit „deutlichen“ Einschränkungen akzeptieren will. Das Optionsmodell der FDP soll auch „auf Erwachsene übertragen“ werden. Außer Struck und Schreiner steht nun auch Lafontaine wie ein Schuljunge da.

Die Fraktion will sich jedenfalls mit der per Interview proklamierten Entscheidung zum Staatsangehörigkeitsrecht nicht abfinden. Und es sind nicht nur die Parteilinken, die sich vorgenommen haben, zur Gesichtswahrung wenigstens vorübergehend auf die Barrikaden zu gehen. In den nächsten Tagen soll der Protest aus der Fraktion heraus organisiert werden. Während die einen in erster Linie inhaltlich gegen eine Korrektur des Gesetzes sind, sind die anderen eher aus machtstrategischen Gründen sauer: „Wenn wir jetzt einknicken, werden wir nicht den Mut haben, irgendetwas anzugehen in den nächsten vier Jahren.“

Fraktionschef Struck ist inzwischen auf die Linie der Korrekturen eingeschwenkt. Eine Abgeordnete rät ihm aber, er müsse den Protest aus der Fraktion wenigstens eine Zeitlang gewähren lassen. Sonst gebe es Ärger.