Heißer Wind weht über verdorrte Felder

In der fruchtbarsten Region Somalias droht die schlimmste Hungersnot seit dem massiven UN-Militäreinsatz vor sieben Jahren. Nur die geringere Intensität des Bürgerkrieges diesmal verhindert bisher ein Massensterben  ■ Aus Bardera Peter Böhm

Das Dorf ist ausgestorben. So als habe die Familie hastig das Weite gesucht, findet sich in den strohgedeckten Hütten noch der karge Hausrat: Mörser, Holzflaschen für Kamelmilch, Strohmatten auf kruden Bettgestellen. Aber Wehellow, rund 20 Kilometer südlich von Bardera in der Region Gedo im Südwesten Somalias, wurde nicht in Eile verlassen, sondern nach langem Ausharren. Und wäre nicht das Wasser im Sammelbecken des Dorfes schon lange ausgetrocknet, wären die Bewohner wahrscheinlich noch hier.

Rund 300.000 Menschen sind nach Schätzung des UN-Welternährungsprogrammes im Süden Somalias akut von Hunger und Wassermangel bedroht. In den drei am schlimmsten von der Dürre betroffenen Regionen Gedo, Bay und Bakol ziehen die Menschen wegen des Wassermangels massenweise an die zwei Flüsse Juba und Shebelle oder in die größeren Städte.

Für den Wasserhaushalt im Süden Somalias verlassen sich die Bauern immer noch auf die einfachsten Mittel. Am Rande jeden Dorfes haben sie ein Sammelbecken, das sich in der Regenzeit füllt. Vor acht Jahren, vor dem Bürgerkrieg, hat die Regierung diese Teiche vor der Regenzeit noch jedes Jahr ausbaggern lassen. Seit acht Jahren wird diese Aufgabe vernachlässigt. So können sie nun natürlich nicht mehr soviel Wasser fassen. Dazu kommt eine ungewöhnlich lange Dürre. In vielen Regionen sind fünf Ernten in Folge mißraten oder gar ausgefallen, und wer im Herbst 1997 noch Getreide in seinem unterirdschen Speicher hatte, dessen Vorräte wurden durch sintflutartige El-Niño-Regenfälle zerstört.

Diese drei Regionen im Süden des Landes gelten als die Kornkammer Somalias. Sie versorgten die anderen Landesteile mit Sorghum, einer kleinwüchsigen Maissorte, und nun zeugen die vereinzelten verdorrten Halme auf den Feldern, über die heißer Wind weht, und die abgemagerten Kamele der Nomaden, die diese Reste fressen dürfen, von der mitleidlosen Faust der Dürre, die dieRegion im Würgegriff hat.

Barderas Bevölkerung hat sich von 18.000 Einwohnern verdoppelt. Fast täglich kommen neue hinzu. Am Rande der Stadt errichten sie Lager mit denen für die Nomaden typischen Zelten aus Ästen und darübergebreitetem Gras und schöpfen das schlammig-braune Wasser des Juba-Flusses zum Trinken. Bilder, wie sie vor einigen Monaten aus dem Südsudan kamen, wo Menschen massenweise verhungerten, sind hier jedoch noch nicht zu sehen. Die UN-Hilfsorganisationen haben schon im Herbst mit der Verteilung von Nahrungsmitteln begonnen, und so sind bisher nur an den schwächsten Gruppen der Gesellschaft, den alten Leuten und Kindern, Spuren der Unterernährung zu bemerken.

„Die Dürre ist jetzt schlimmer als 1992“

Die entscheidende Frage jedoch, die hier alle bewegt, ist: Wird der für Ende März erwartete Regen diesmal kommen? „Die Dürre ist schon jetzt weitaus schlimmer als die von 1992“, sagt Roger Carter, Repräsentant von Unicef in Bardera, „aber der Hauptgrund für das Massensterben damals war die Vertreibung der Bevölkerung durch die Kämpfe“. Carter hält es für unwahrscheinlich, daß heute eine Situation wie vor sieben Jahren noch einmal eintreten könnte. Angeführt von den USA hatte die UNO damals ein massive Militärintervention unternommen, um die Plünderung der Hilfslieferungen durch die Milizen zu verhindern, und war zwischen alle Fronten geraten. „Die UNO hat inzwischen aus ihren Fehlern gelernt“, glaubt Carter. Die Hilfslieferungen wurden an somalische Transportunternehmen vergeben, die Tribut an die Warlords bezahlen, durch deren Gebiet sie fahren. Außerdem hätten die Milizen gar nicht mehr die Ressourcen für weiträumige Gefechte wie 1992. „Meistens reicht die Munition für ein oder zwei Tage, dann muß wieder Nachschub besorgt werden.“

Wenig klar ist die Lage in den Regionen Bay und Bakol, die am dichtesten besiedelten Gegenden Somalias. Dort waren in den vergangenen Monaten immer wieder Kämpfe aufgeflammt, die die Hilfslieferungen dorthin schwierig machten. Nun bleibt nur noch das Warten und natürlich die Hoffnung: daß der Regen kommt und daß die Region friedlich bleibt. 1992 war es der Hunger und die daraus resultierende Schwäche der Clans in diesen Regionen, die die zynische Eroberungslust der andern Warlords herausforderte.