Stiefkinder etc.
: Auch für Erwachsene

■ Ein Porträit von Renate Zylla, der engagierten Leiterin des Kinderfilmfests

Renate Zylla, die Leiterin des Kinderfilmfestes, hat mit allerlei Widrigkeiten zu kämpfen. Sie und ihre beiden Assistentinnen kämpfen mit Problemen, die den anderen Sektionsleitern weitgehend unbekannt sind. Mancher Filmemacher „will nicht den Stempel Kinderfilm kriegen“ und scheut sich deshalb, die Einladung zu ihrem Festival anzunehmen. Und noch immer führt der Kinder- und Jugendfilm in vielen Ländern ein vernachlässigtes Dasein. So füllt Zylla bewußt nicht um jeden Preis ihre Programmschienen, sondern lädt nach Möglichkeit nur die Filme ein, die ein Mindestmaß an Qualitätskriterien erfüllen. Ungefähr 220 Titel hat sie im vergangenen Jahr gesehen, fünfzehn Langfilme werden im Wettbewerb laufen.

Neben der Integration in ein A-Festival hat vor allem diese Qualitätsgarantie dafür gesorgt, daß sich diese nun 22 Jahre alte Sektion der Berlinale zum bedeutendsten Kinderfilmfestival der Welt entwickelt hat. Mit der medialen Resonanz ist Zylla inzwischen zufrieden: „Ich mag nur Leute nicht, die mit dem Kinderfilmfest umgehen, als sei es der Kindergarten der Berlinale.“ Das Publikum gibt ihr recht: Die Besucherzahlen wachsen beständig, auf zuletzt 17.000 im vergangenen Jahr. Und der gläserne Bär, den die elfköpfige Kinderjury am Ende des Festivals vergibt, hilft den ausgezeichneten Filmen auf ihrem weiteren Weg, viele Produktionsfirmen werben sogar bereits mit der Auswahl für den Wettbewerb.

Zylla legt Wert darauf, kein Festival für Kinderfilme zu organisieren, sondern eines, auf dem „Filme für Kinder“ laufen. Kritik und Bedenken, die mancher Beitrag auch intern wegen zu ernsthafter Thematik schon mal auslöst, löst sich im Gespräch mit dem minderjährigen Publikum allerdings meist in interessiertes Wohlgefallen auf.

Trotzdem: „Von den 15 Filmen kommen vielleicht 3 ins Kino“, schätzt Zylla, „und 5 schaffen es ins Fernsehen.“ Das Problem verortet Zylla zum einen bei den deutschen TV-Sendern, von denen sie sich wünschen würde, sie mögen mehr fremdproduzierte Qualität aufkaufen, anstatt noch mehr Meterware in Eigenregie herzustellen. Zum anderen bei den Kinoverleihern, die meist das Risiko scheuen, gegen Disney ins Rennen gehen zu müssen.

Dabei ist gerade beim Kinder- und Jugendfilm „eine besondere Sensibilität und Verantwortung nötig“, der sie selbst gerecht zu werden versucht: „Manchmal sieht man einen Film und weiß, man ist die einzige, die den an die Öffentlichkeit bringen kann.“ Doch was nach dem Festival kommt, liegt nicht mehr in ihrer Hand, „man kann die Verleiher nur einladen“.

Ist der Frust da nicht unvermeidlich? „Absolut“, sagt die 43jährige Zylla und weiß doch, daß sie nach der Berlinale wieder beginnen wird, um den Globus zu reisen auf der Suche nach dem Programm für das Jahr 2000. Daß die gebürtige Bielefelderin dafür trotzdem nur jeweils für ein halbes Jahr von der Festspiele GmbH bezahlt wird, darüber klagt sie nicht einmal. Sie ist auch so beschäftigt genug als Prüferin bei der Freiwilligen Kontrolle der Filmwirtschaft (FSK), als Chefin eines kleinen Verleihs für kurze Animationsfilme und als Beraterin, Jurymitglied oder Dozentin anderer Kinderfilmfestivals.

Eines hat sie auf ihren Reisen festgestellt. Überall scheint es dem Kinderfilm besser zu gehen als in Deutschland. Während sich anderswo generell auch etablierte Regisseure wie Steven Spielberg oder Bille August ins Genre wagen, ist es hierzulande fast schon ehrenrührig, für eine jüngere Klientel zu produzieren: Bei der Qualität so mancher hiesiger Kinderfilme merkt man, daß da allzu selten die erste Garde an Filmemachern, Technikern und Schauspielern am Werk ist.

„In Skandinavien hat das eine ganz andere Tradition“, sagt Zylla, „bei uns denkt man zu sehr in Kategorien.“ Weswegen aus Norwegen, Schweden und Finnland auch vier Langfilme ausgewählt wurden, während es aus dem Gastgeberland nur „Zwei in einem Boot“ von Cornelia Grünberg in die Auswahl geschafft hat.

Allzu streitbar wirkt die gelernte Sozialarbeiterin und Diplompädagogin deswegen nicht. So setzt sie stille Hoffnungen auf „Pünktchen und Anton“, die Kästner-Verfilmung der „Jenseits der Stille“-Regisseurin Caroline Link. Die läuft im „großen“ Wettbewerb, wird kurz nach der Berlinale in die deutschen Kinos kommen und vielleicht die Reputation des Kinderfilms in der Branche nachdrücklich verbessern. Thomas Winkler