■ Was die Grünen nach ihrem Einknicken beim Doppelpaß brauchen
: Weniger Fischer und mehr Westerwelle

Wo bleibt der grüne Widerstand? Schwungvoll, wie es seine Art ist, hat Gerhard Schröder vor drei Tagen die Koalitionsvereinbarung zum Doppelpaß vom Tisch gefegt. Damit wird nach dem Atomausstieg der zweite Pfeiler grüner Identität unterspült. Doch bis heute ist vom kleinen Koalitionspartner nur Gegreine zu vernehmen. Die Hessen-Wahl sei schuld, murmeln halb verschämt, halb verständnisinnig führende Köpfe der Grünen. Tut uns leid, begründen sie ihr jüngstes Einknicken, wir können den Doppelpaß nicht wie geplant durchsetzen, denn seit dem Wahlsonntag fehlt uns dafür die Mehrheit im Bundesrat. Das klingt vernünftig, stimmt aber nicht.

Schröder, der Politik gern mit dem Bulldozer betreibt, hatte eine Alternative: Statt den kleinen Koalitionspartner plattzuwalzen, hätte er auf das sozialliberale Kabinett in Rheinland-Pfalz zurollen können. Dort gibt in Gestalt von Ministerpräsident Beck immerhin ein Sozialdemokrat die Richtlinien vor. Mit der Zustimmung der Pfälzer im Bundesrat wäre das Reformprojekt gerettet. Daß die Mainzer 1996 nur einen zeitlich begrenzten Doppelpaß favorisierten, bräuchte Schröder im Jahr 1999 nicht zu bekümmern.

Nicht nur ist die Bundesregierung eine andere, auch die politische Bedeutung des Doppelpasses hat sich inzwischen gewandelt: Wenn der Gesetzgeber die doppelte Staatsbürgerschaft jetzt doch nur mit Haken und Ösen gestatten würde, verlöre die Reform ihre Funktion als Aufbruchssignal in eine multikulturelle Gesellschaft. Hinzu kommen die vielfältigen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen einen Doppelpaß auf Zeit. Es würde also nicht an Argumenten mangeln, mit denen der Kanzler den Genossen in Rheinland-Pfalz ein Überdenken ihrer Idee von 1996 anempfehlen könnte. An Ministerpräsident Beck und SPD-Innenminister Zuber würde ein Erfolg des rot- grünen Projekts im Bundesrat kaum scheitern.

Sicher, machtpolitisch müßte der Kanzler seinem Parteifreund Beck einen Konflikt mit der FDP zumuten, die in Mainz den Juniorpartner stellt und am liebsten die bescheidenere Variante der Reform verwirklicht sähe. Doch unüberwindlich scheint die Skepsis der FDP nicht. Immerhin ist sie sich seit Jahren mit Rot-Grün einig in dem Anliegen, die Einbürgerung von Ausländern in Deutschland spürbar zu erleichtern. Außerdem kann Schröder in Sachen Zumutungen durchaus als Fachmann gelten. Käme es hart auf hart, darf bezweifelt werden, daß ausgerechnet der im doppelten Sinne liberale Mainzer Justizminister Caesar im Bundesrat das Paket zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts scheitern lassen würde.

Aber es kommt nicht hart auf hart. Das hat Schröder mit seinem Machtwort gegen den Doppelpaß klargemacht und damit eine Frage aufgeworfen, deren Bedeutung für die rot-grüne Koalition über den aktuellen Streit hinausreicht: Warum zieht es der Bundeskanzler vor, die Grünen abzumeiern, anstatt die FDP in die Not zu bringen, als Blockierer einer Jahrhundertreform dazustehen?

Natürlich steht auch Schröder unter dem Schock der Hessen-Wahl und des Erfolgs der CDU-Unterschriftenaktion. Aber die tiefere Ursache für seine Brüskierung der Grünen ist bei den Grünen selbst zu suchen. Beim Gladiatorenkampf um eigene Positionen in der Arena der Koalition haben die Grünen mit ihrer Verzagtheit den immer hungrigen Schröder förmlich eingeladen, sie mit Haut und Haaren zu verspeisen. Nicht einen Moment lang haben sie ernsthaft versucht, die Entkernung der Staatsbürgerschaftsreform zu verhindern. Gedankt hat es ihnen der Kanzler mit dem höhnischen Satz in einem Zeitungsinterview, die Koalition brauche mehr Fischer und weniger Trittin. Als sei die grüne Schmach nicht groß genug.

Wie man es besser machen kann, könnten Schlauch und Müller, Radcke und Röstel bei Guido Westerwelle lernen. Jahrelang führte der FDP-Generalsekretär vor, wie man auch als kleiner Koalitionspartner eigene Interessen durchsetzt: mit einer Mischung aus dramatischen Drohungen, taktischen Finessen und cleverer Mobilisierung der eigenen Klientel. Selbst verlieren konnte Westerwelle besser als die Grünen. Wenn damals der Kanzler den kleinen Koalitionspartner in den Sack steckte, war das Geschrei groß und oben ragten zumindest noch die Füße raus – auf daß das Publikum sie heftig zappeln sehe. Patrik Schwarz